Schadenersatzklage in «Dieselfall» gegen VW: Kläger muss nicht zu bei VW konkret verantwortlicher Person vortragen
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Abgasskandal: Schadenersatzklage gegen VW bei Gebrauchtwagenkauf nach Aufdeckung des Skandals erfolglos
Wer einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Gebrauchtwagen erst nach Bekanntwerden des so genannten Dieselskandals gekauft hat, hat keinen Anspruch gegen den Hersteller des Wagens auf Schadenersatz. Dies geht aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hervor.
Der Kläger erwarb im August 2016 von einem Autohändler für 13.600 Euro einen gebrauchten VW mit einem Dieselmotor des Typs EA189, der vom Abgasskandal betroffen war. Zuvor, nämlich am 22.09.2015, hatte die beklagte VW AG in einer Pressemitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt in Kontakt stehe. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte im Oktober 2015 nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung erlassen und der Beklagten aufgegeben, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. In der Folge hat die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereitgestellt, das nach August 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Das Thema war Gegenstand einer umfangreichen und wiederholten Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Ersatz des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Hiermit hatte er in keiner Instanz Erfolg.
Es sei nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht Ansprüche aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) deshalb verneint hat, weil das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig anzusehen ist, so der BGH. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB sei in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies werde insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat.
War das Verhalten der Beklagten gegenüber Käufern, die ein mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug vor dem 22.09.2015 erwarben, sittenwidrig (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19), so seien durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert worden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt sei, so der BGH.
So sei bereits die Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 objektiv geeignet gewesen, das Vertrauen potenzieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war nach Ansicht des BGH typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden.
Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit sei damit kein Raum mehr gewesen; hierauf habe das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein können. Käufern, die sich, wie der Kläger, erst für einen Kauf entschieden haben, nachdem die Beklagte ihr Verhalten geändert hatte, sei deshalb – unabhängig von ihren Kenntnissen vom "Dieselskandal" im Allgemeinen und ihren Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen – nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt worden.
Auch Ansprüche aus sonstigen Vorschriften hat der BGH verneint.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20