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BdSt-Präsident Reiner Holznagel
© BdSt/Fotostudio Annette Koroll

"Wir brauchen knallharte Prioritäten!"

Top News 16.11.2023

BdSt-Präsident Reiner Holznagel im Gespräch mit dem Weser-Kurier / Über die Ausgabenpolitik der Regierung

Herr Holznagel, zahlen Sie eigentlich gern Steuern?

Reiner Holznagel: Teilweise sehr gern, teilweise ärgere ich mich aber auch. Insgesamt halte ich es mit einem Spruch des ehemaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofs, der einmal gesagt hat: Es ist keine Pflicht, mehr Steuern zu zahlen, als man muss.

Das sehen viele Menschen im Land offenbar genauso. Der Ratgeber „1.000 ganz legale Steuertricks“ ist seit 1985 millionenfach verkauft worden. Haben Sie auch eines bei sich zu Hause stehen?

Nein. Wir haben das Buch ja auch nicht geschrieben. Wir sind der Bund der Steuerzahler, bei uns geht es in der Grund-DNA nicht darum, keine Steuern zu zahlen, auch wenn uns das einige gern unterstellen. Wir schauen darauf, wie mit unserem Steuergeld umgegangen wird. Und wir wollen den Menschen dabei helfen, dass sie durch den Steuerdschungel kommen. Deshalb sind wir große Verfechter der Vereinfachung. Dann würden Steuertipps in Buchform gar nicht mehr notwendig sein.

Woher kommt diese Sorge, dass man dem Staat womöglich zu viel Geld gibt?

Viele Menschen verstehen gar nicht mehr richtig, was sie in ihre Steuerklärung hineinschreiben müssen. Deshalb haben sie im Hinterkopf, dass sie womöglich zu viel zahlen. Wir haben in Deutschland das ganz starke Bedürfnis, es jedem gerecht zu machen. Doch weil das in einem allgemeinen Besteuerungsverfahren nicht geht, machen wir das System immer komplexer und komplizierter. Deshalb kann ich nur immer wieder sagen: Macht es einfacher! Am wichtigsten ist doch, dass Steuerzahler sich mit dem, was sie zahlen, auch wohl fühlen. Dass sie das Gefühl haben, den Staat zu unterstützen, und dass der Staat auch etwas zurückgibt.

Der deutsche Staat gibt doch viel zurück. Unsere Steuergelder werden für Bildung, Gesundheit und Soziales eingesetzt oder in die Infrastruktur investiert. Warum haben Steuern trotzdem so ein Imageproblem?

Ich frage mich das selbst immer wieder und überlege, wie ich dafür werben kann. Schließlich sind 90 bis 95 Prozent der Ausgaben richtig und wichtig. Allerdings ärgern die restlichen fünf bis zehn Prozent, die das eben nicht sind. Ich glaube, dass es helfen würde, wenn Politik und Verwaltung proaktiv zugeben würden, wenn etwas falsch gelaufen ist. Stattdessen erleben wir immer wieder, dass schöngerechnet wird, dass schöngeredet wird, und dass wir Steuerzahler diejenigen sind, die es vielleicht nicht verstehen sollen und teils auch wirklich nicht verstehen. Das erzeugt großes Frustpotenzial.

Welche Rolle spielt die Höhe der Steuern dabei?

Wir haben mittlerweile eine Belastung für den Normalsteuerzahler erreicht, die aus meiner Sicht zu hoch ist. Von einem verdienten Euro bleiben ihm rund 47 Cent zur freien Verfügung. Anders gesagt: 53 Prozent gehen an öffentliche Kassen.

Das Geld ist ja aber nicht weg.

Keine Frage, unser aller Geld wird auch für Gutes eingesetzt. Es ist also nicht weg, aber es haben andere! Inzwischen ist dies mehr als die Hälfte. Irgendwann ist eine Belastungsgrenze erreicht, an der das Gute, das jeder für seine Steuern bekommt, infrage gestellt wird. Dann stellt sich das Gefühl ein, ein Stück Freiheit zu verlieren. Deswegen müssen wir eine Diskussion darüber führen, wie wir den Staat in seiner Ausgabenkultur und bei der Sicherung der sozialen Systeme stabil halten, aber gleichzeitig den Menschen genügend Freiheit lassen, damit sie selbst entscheiden können, wie sie mit ihrem hart verdienten Geld umgehen.

Sie haben bundesweit den Überblick darüber, wie Politik und Verwaltung mit Steuergeldern umgehen. Wie machen das die Entscheider in Bremen?

In Bremen fällt mir immer wieder auf, dass – gemessen an den Finanzproblemen und den haushalterischen Einschränkungen – Dinge passieren, die doch sehr verwundern. Da werden Entscheidungen getroffen, die mit Sicherheit eine gute Absicht haben, bei denen aber die Frage „Können wir uns das wirklich leisten?“ offenbar keine Rolle spielt.

Ein Beispiel ist aus Ihrer Sicht die Freikarte, die es ins Schwarzbuch geschafft, also dorthin, wo der Bund der Steuerzahler Fälle von Steuerverschwendung versammelt. In Bremen haben alle Kinder 2022 und 2023 ein Guthaben von 60 Euro bekommen, um von dem Geld ins Kino oder ins Schwimmbad gehen zu können oder auf dem Freimarkt Karussell zu fahren. Die Freikarte gibt es auch 2024. Was stört Sie daran?

Die Idee der Freikarte hört sich toll an, und viele Eltern und Großeltern sagen bestimmt: „Super, das ist doch endlich mal etwas für unsere Kinder!“ Auch die Clubs, Theater und Kulturschaffenden sind davon entzückt, dass es so etwas gibt, weil es schließlich für mehr Umsatz sorgt. Nicht falsch verstehen: Denjenigen, die wirklich Bedarf haben, muss man helfen! Aber die Politik kommt hier mit dem `Prinzip Gießkanne´ und gibt allen irgendwie ein bisschen – auch denen, die es nicht zwingend brauchen. Das Problem ist, dass der Staat nicht zielgenau vorgeht.

Aber es gibt doch eklatantere Verfehlungen als die Freikarte.

Es gibt natürlich Gründe, die für die Karte sprechen. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass man auch mit diesem Geld Besseres machen könnte – hier denke ich zum Beispiel an den Zustand unserer Schulen, an das Bildungssystem im Ganzen oder an die Digitalisierung.

Das heißt, dass Politik aus Ihrer Sicht andere Prioritäten setzen muss?

Politik muss deutlich machen, dass wir weniger Spielräume haben, als wir uns vielleicht wünschen. Politik darf uns nicht vorgaukeln, dass alles geht. Wir brauchen eine knallharte Prioritätensetzung. Gesamtstaatlich werden im nächsten oder übernächsten Jahr eine Billion Euro Steuereinnahmen haben. Das zeigt, dass wir in Deutschland kein Einnahmeproblem haben. Wir haben ein Ausgabenproblem. Wir haben gerade eine Krise, wir haben Krieg um uns herum, wir haben große Sorgen, wie wir Energie in Zukunft bezahlen. Das zwingt uns dazu, klare Prioritäten zu setzen. Wir werden Deutschland nicht fitter machen, wenn wir noch mehr Schulden anhäufen. Die Staatsverschuldung holt uns alle irgendwann ein. Damit werden die Spielräume für die nächsten Generationen nicht größer, sondern kleiner.

Die SPD will die Spielräume vergrößern und fordert eine Reichensteuer. Was halten Sie davon?

Wir haben bis 1996 eine Reichen- und Vermögensteuer gehabt, die das Bundesverfassungsgericht außer Vollzug setzte, weil sie unfair und ungleichmäßig erhoben worden ist. Sie hat den Ländern seinerzeit bis zu neun Milliarden D-Mark pro Jahr in die Kassen gespült. Die Politik hat auf das Urteil reagiert und die Grunderwerbsteuer erhöht. Das ist auch eine Form von Reichtumssteuer. Sie ist ein profitables Geschäft für die Bundesländer, die im Jahr 2022 rund 17 Milliarden Euro Grunderwerbsteuer eingenommen haben – insofern gibt es nach wie vor eine Vermögensbesteuerung.

Die SPD redet über eine zusätzliche Steuer für die besonders Reichen.

Wer glaubt, dass wir dadurch attraktiver und fitter für ausländische Unternehmen werden, wer glaubt, dass dadurch mehr Wohlstand und Wirtschaftswachstum entsteht, der möge bitte nach Frankreich schauen. Die Franzosen haben eine Vermögensteuer eingeführt – und innerhalb weniger Jahre haben 35 Milliarden Euro Kapital das Land verlassen. Unterm Strich hat man in Frankreich dadurch weniger Steuern eingenommen als zuvor. Das heißt: Hohe Steuersätze sorgen nicht immer für vollere Kassen. Ich kann davon nur abraten. Außerdem wäre das auch kein Beitrag zur Steuervereinfachung.

Aber es wäre doch ein Beitrag zum großen Ganzen, wenn diejenigen, die es sich leisten könnten, mehr geben würden, gerade in schweren Zeiten.

Wir dürfen bei dieser Diskussion nicht vergessen, dass viele reiche und wohlhabende Menschen hier in Deutschland ihre Steuern zahlen. Und das, obwohl wir jetzt schon eine Einkommensbesteuerung haben, die in der Spitze fast 50 Prozent erreicht: eine Einkommensteuer von 45 Prozent ab 280.000 Euro Jahreseinkommen zuzüglich Soli macht fast 48 Prozent. Wenn man in der Kirche ist, zahlt man entsprechend dazu. Wir schöpfen also schon fast die Hälfte ab. Aber gut, wenn das dem einen oder anderen trotzdem noch nicht reicht, können wir natürlich über eine andere Besteuerung von Millionären und Milliardären reden.

Was schlagen Sie vor?

Wir vom Bund der Steuerzahler haben eine Reform für den Einkommensteuertarif vorgelegt, indem wir sagen: Wer eine Million und mehr zu versteuern hat, muss 48 Prozent zahlen. Damit zeigen wir, dass wir ganz oben einen Beitrag einfordern wollen. Wir dürfen diese Diskussion aber nicht abdriften lassen, um vom eigentlichen Problem abzulenken.

Und das ist aus Ihrer Sicht?

Die Mittelschicht ist zu hoch besteuert. Wir müssen uns nicht in Sonderfällen verzetteln, sondern wir müssen uns um die Mitte kümmern. Die Mittelschicht ist über Jahrzehnte vernachlässigt worden.

Wie belastbar ist die Mittelschicht aus Ihrer Sicht überhaupt noch?

Ich mache mir da große Sorgen. Ein Problem ist der Effekt, der eintritt, wenn Sie mehr leisten, wenn Sie mehr verdienen, wenn Sie mehr Einkommen erzielen – dann schlägt die Steuer überproportional zu. Es ist bekannt, dass viele Mitarbeiter gar keine Gehaltserhöhung mehr wollen, weil die Steuer das meiste davon auffrisst. Sie wollen stattdessen lieber mehr Urlaub oder eine Vier-Tage-Woche. Wir haben es mit einer veränderten Gesellschaft zu tun. Mehr zu arbeiten, viel zu arbeiten, ist nicht mehr en vogue. Aber kein Land hat Wohlstand erhalten können, wenn weniger gearbeitet wurde.

Wie kann die Mittelschicht entlastet werden?

Auch hier bietet unser Reformvorschlag eine Lösung: Unser Tarif flacht den `Mittelstandsbauch´ ab, verschiebt also die Steuersätze in Richtung höhere Einkommen. Nach unserem Tarif würde eine durchschnittliche Familie um 2.000 Euro im Jahr entlastet werden. Das halte ich für richtig, wenn wir dann im Gegenzug nicht mehr über Tankrabatte, Gaspreisbremsen oder andere Steuergeschenke diskutieren. Die Politik muss so ehrlich sein, dass sie den Menschen sagt: Wir können nur verteilen, was vorher erwirtschaftet worden ist.

Das Gespräch führte Marc Hagedorn.

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