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Werbung versus Öffentlichkeitsarbeit: Wieviel Propaganda muss der Steuerzahler zahlen?

Meldungen 01.03.2018

In der Vergangenheit hatte der Bund der Steuerzahler mehrfach Ausgaben der Berliner SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus für vermeintliche Öffentlichkeitsarbeit als unzulässige Parteiwerbung aus Steuermitteln kritisiert. Diesmal ist dem Bund der Steuerzahler eine auflagenstarke Postwurfsendung der Berliner CDU-Fraktion aufgefallen, die der Verein ebenfalls für verkappte Parteiwerbung hält. Die Ausleuchtung rechtlicher Grauzonen erweist sich allerdings als schwierig, weil die Fraktionen nicht auskunftspflichtig sind und der Rechnungshof seine Prüfungskriterien nicht veröffentlicht. Der Bund der Steuerzahler Berlin befürchtet eine schleichende Ausweitung der Parteienfinanzierung zulasten der Steuerzahler durch die Hintertür.

Im letzten Dezember fanden rund 130.000 Berliner Haushalte in ihrem Briefkasten einen DINA5-Flyer der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus vor. Zu einem Jahr Rot-Rot-Grün verkünden drei traurig dreinblicken Kinder: „Wir haben nichts zu feiern!“ Auf der Rückseite wirft der CDU-Abgeordnete Stefan Evers der Landesregierung ein Scheitern auf allen Ebenen und dem Regierenden Bürgermeister dramatisches Führungsversagen vor. Nichts zu feiern habe die Stadt mit dieser Regierung zum Beispiel in der Verkehrs-, Schul-, Drogen- und Innenpolitik. Klientelinteressen würden Allgemeininteressen vorgezogen. Nichts Neues gebe es bei BVG, S-Bahn und BER. Einen Bericht darüber, welchen konkreten Beitrag die CDU-Fraktion mit ihrer parlamentarischen Arbeit selbst leistet, sucht man allerdings vergeblich. Die Rede ist nur sehr allgemein von der Übernahme von Verantwortung mit aktiver Oppositionsarbeit. Evers ist übrigens nicht nur Abgeordneter, sondern auch Generalsekretär seiner Partei.

Dabei ist den Fraktionen Öffentlichkeitsarbeit durchaus erlaubt. Nach dem Berliner Fraktionsgesetz dienen die Fraktionen „der parlamentarischen Willensbildung im Abgeordnetenhaus“ u.a. auch dadurch, dass sie „während der Dauer der gesamten Wahlperiode in eigener redaktioneller Verantwortung und unter inhaltlichem Bezug zu ihrer Arbeit und Aufgabenstellung die Öffentlichkeit unterrichten“.  Im Berliner Fraktionsgesetz heißt es aber an anderer Stelle auch allgemeiner, dass die Fraktionen als maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung unmittelbar Verfassungsaufgaben wahrnehmen. Diese allgemeinere Formulierung führt nun zu der Frage, ob damit auch die Bildung des politischen Willens des Volkes eingeschlossen ist oder doch nur die Unterrichtung über die innerparlamentarische Meinungsbildung unter den Abgeordneten.

Der Bund der Steuerzahler Berlin ist der Meinung, dass das Fraktionsgesetz hier nicht weiter gehen kann als die Berliner Landesverfassung, nach der Fraktionen „unmittelbar Verfassungsaufgaben“ wahrnehmen, indem sie u.a. ausdrücklich nur die „parlamentarische Willensbildung unterstützen“. Auch nach dem Grundgesetz sind es die Parteien und nicht die Fraktionen, die „bei der politischen Willensbildung des Volkes“ mitwirken. Im Parteiengesetz ist schließlich sogar genauer beschrieben, wie die Parteien „an der Bildung des politischen Willens des Volkes“ mitwirken, nämlich „indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen“. Dort ist auch ausdrücklich geregelt, dass Parteien von Parlamentsfraktionen keine Spenden annehmen dürfen. Dazu gehören auch Sachspenden in Form von Werbung für Zwecke der Partei.

Warum ist das wichtig? Die Fraktionen sind als ständige Gliederungen des Parlaments Teil der organisierten Staatlichkeit und notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens. Sie steuern und erleichtern den Ablauf der Parlamentsarbeit und können deswegen im Rahmen der Parlamentsfinanzierung Empfänger staatlicher Mittel sein. Fraktionen sind rechtlich selbständige, aber dennoch steuerfinanzierte Teile des Staates. Sie werden zwar nicht als Teil der Verwaltung angesehen, sind aber auch keine selbständigen Vereine und schon gar keine Abteilungen der Parteien.

Parteien hingegen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht Teil des Staates. Sie erhalten allerdings aus der staatlichen Parteienteilfinanzierung ein nach oben streng gedeckelten Betrag. 2016 lag diese absolute Obergrenze bei bundesweit gut 160,5 Millionen Euro. Die Befürchtung, dass die Parteien im Kampf um ihre politische Vormachtstellung einen gleichgerichteten Wettstreit darin anstoßen könnten, sich auch – zumindest in den Grauzonen – an den steuerfinanzierten Mitteln der Fraktionen für die politische Agitation des Volkes zu bedienen, um diese Deckelung zu umgehen, durfte also keineswegs abwegig sein.

Diese Grauzonen auszuleuchten, ist allerdings nicht ganz einfach. Die Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus unterliegen nicht dem Informationsfreiheitsgesetz und müssen Bürgern daher keinen Einblick geben. Zu sehen gibt es lediglich grob gegliederte jährliche Verwendungsnachweise. Der Rechnungshof darf die Fraktionsfinanzen zwar prüfen, allerdings nur mit gewissen Einschränkungen. Nach welchen Grundsätzen der Berliner Rechnungshof die Verwendung der Fraktionsmittel prüft, ist auch nicht komplett veröffentlicht. Lediglich aus im Abgeordnetenhaus veröffentlichten Prüfungsberichten lassen sich allgemeinere Anhaltspunkte ableiten. Sofern sich in den Berichten des Berliner Rechnungshofs Beanstandungen an den Fraktionsfinanzen finden, ist seitens der betroffenen Fraktionen dazu gelegentlich zu lesen, dass man die Auffassung des Rechnungshofes eben einfach nicht teile, der Rechnungshof die Stellung der Fraktionen verkenne oder der Präsident des Abgeordnetenhauses dennoch von Rückforderungen an die Fraktionen absehe.

Immerhin konnte der Berliner Rechnungshof bestätigen, dass er den sogenannten „Neusser Kriterienkatalog“ grundsätzlich auch weiterhin als einen geeigneten Prüfungsmaßstab ansehe. Dabei handelt es sich um den „Beschluss der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder vom 7. bis 9. Mai 2001 in Neuss zu den Maßstäben zur Abgrenzung zulässiger von unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen“. Dieser Katalog ist lediglich ein einziges Mal in einer Drucksache des Sächsischen Landtags veröffentlicht worden. Der Bund der Steuerzahler vermutet daher, dass die Bekanntgabe dort im Jahr 2009 ein Versehen war.

Nach diesem „Neusser Kriterienkatalog“ muss die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen aus Haushaltsmitteln u.a. „einen konkreten Bezug zur aktuellen parlamentarischen Arbeit aufweisen“. Sie muss sich dabei „unmittelbar auf die vergangene, gegenwärtige oder aktuell zukünftige Tätigkeit der Fraktion im Parlament beziehen“. Unzulässig wäre es, „wenn der Sachinhalt eindeutig hinter die werbende Form zurücktritt, insbesondere bei Sympathiewerbung für die Fraktion oder für einzelne Fraktionsmitglieder“. Und sie „muss beim Bürger bereits den Eindruck einer werbenden Einflussnahme zugunsten einer Partei“ vermeiden.

Nach Meinung des Bundes der Steuerzahler genügt die Postwurfsendung der CDU-Fraktion diesen Grundsätzen nicht. Einen konkreten und unmittelbaren inhaltlichen Bezug zur Parlamentsarbeit bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit könne man nicht erkennen. Die aufgelistete Regierungsschelte hätte genauso gut auch vom Bund der Steuerzahler Berlin oder sonst wem kommen können. Allein dass sich die CDU-Fraktion ebenfalls mit Landespolitik beschäftige und als Opposition die Untätigkeit der rot-rot-grüne Landesregierung kritisiere, könne wohl kaum als Unterrichtung der Öffentlichkeit mit konkretem und unmittelbarem Bezug zur eigenen Parlamentsarbeit durchgehen.

Schädlich ist nach Meinung des Bundes der Steuerzahler auch die reklamehafte Aufmachung mit Kindern. Hier sieht der Verein ein erhebliches Risiko, dass beim Bürger im Kern als werbende Botschaft nur ankommt: „Hättet Ihr lieber nicht Rot-Rot-Grün, sondern besser uns gewählt!“ Damit handle es sich dann aber um den Versuch einer Einflussnahme auf die politische Willensbildung des Volkes, zumal, wenn mit Mitteln der klassischen Werbung palettenweise Reklamezettel unaufgefordert in die Briefkästen nicht nur interessierter Bürgern gesteckt werden. Denn das wäre nach Auffassung des Bundes der Steuerzahler Berlin die gesetzliche Aufgabe der Parteien, die dafür bereits die Parteienfinanzierung erhalten.

Sehr positiv überrascht zeigte sich der Bund der Steuerzahler über die sehr umfangreichen Begründungen des parlamentarischen Geschäftsführers der CDU-Fraktion, Heiko Melzer, warum die Aktion u.a. auch nach den Prüfungsgrundsätzen des Rechnungshofs von Berlin eine zulässige Öffentlichkeitsarbeit wäre. Leider stellte der Rechnungshof auf Anfrage diese Prüfungsgrundsätze nicht zur Verfügung, so dass der Bund der Steuerzahler eine Bewertung daran nicht vornehmen konnte. Bekannt sind nur die bruchstückhaft dargestellten Maßstäbe in den veröffentlichten Prüfungsberichten. Immerhin heißt es dort, eine mit staatlichen Zuschüssen finanzierte Öffentlichkeitsarbeit sei nur dann zulässig, wenn sie einen hinreichenden Bezug  zur parlamentarischen  Arbeit der Fraktionen aufweise.

Eine Diskussion der von Melzer vorgetragenen Argumente war in diesem Artikel leider ebenfalls nicht möglich, da er der Veröffentlichung der Korrespondenz mit ihm dazu widersprochen hatte. Besonders negativ aufgestoßen ist, dass Melzer dem Bund der Steuerzahler drohte, dass sich die Veröffentlichung eines Berichts damit erübrigt habe und man sich in dem – aus seiner Sicht aber nur theoretischen – Fall der Veröffentlichung weitere Schritte vorbehalte.

Als Fazit bleibt die Erkenntnis, dass das Ausgabenverhalten der Fraktionen ein weitestgehend blinder Fleck im öffentlichen Haushaltswesen ist, der von den Fraktionsgeschäftsführern äußerst aggressiv vor Einblicken verteidigt wird. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Parteien über die absolute Obergrenze der Parteienfinanzierung hinaus über die Fraktionen immer weiter in die Steuerkasse greifen. Konkrete Bewertungsmaßstäbe bleiben für den Bürger jedoch weitestgehend im Dunkeln. Falls überhaupt Konsequenzen drohen, können Jahre vergehen. Als Selbstverständnis der Parlamentarier scheint zu gelten: „Wer ist denn der Gesetzgeber? Wir oder der Rechnungshof?“ Falls Verstöße gegen das Parteiengesetz durch den Bundestagspräsidenten überhaupt geahndet werden, können mehr als zehn Jahre vergehen. Mehr Transparenz tut daher not, meint der Bund der Steuerzahler Berlin.

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