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Suizid auf Bahngleisen: Erben müssen Lokführer keinen Schadenersatz leisten
Begeht eine Person auf den Bahngleisen einen Suizid, haften die Erben des Verstorbenen dem involvierten Lokführer nicht auf Schadenersatz, wenn der Schaden in einem die freie Willensentschließung ausschließenden Zustand zugefügt wurde. Dies stellt das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main klar.
Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem Bahnunglück. Im Januar 2013 kollidierte kurz nach Mitternacht ein Güterzug zwischen Geisenheim und Rüdesheim mit einer im Gleisbett stehenden beziehungsweise sich dort bewegenden Person. Der Lokführer bemerkte die Person, als sie circa 20 Meter vor dem Triebfahrzeug auftauchte. Obwohl er eine Schnellbremsung einleitete, konnte er nicht verhindern, dass er die Person tödlich erfasste. Der Lokführer war daraufhin knapp zwei Jahre arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Klägerin begehrt von den Erben der verunglückten Person Schadenersatz in Höhe von gut 90.000 Euro für die an den Lokführer geleisteten Zahlungen (Fortzahlung der Dienstbezüge, Heilbehandlungskosten).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Erben des Verstorbenen hafteten der Klägerin nicht für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden des Lokführers, führte das OLG aus. Der Verstorbene habe im Zeitpunkt der Schadenszufügung nicht schuldhaft gehandelt. Er habe dem Lokführer den Schaden vielmehr gemäß den Feststellungen des Sachverständigen "in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit" zugefügt (§ 827 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB).
Der Sachverständige sei überzeugend von einem planvollen Suizid ausgegangen. Er habe auch ausgeführt, "dass der Verstorbene nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Gedanken auf die Auswirkungen seines Tuns, insbesondere für den Lokführer zu richten und seine Entscheidung zu verändern." Dabei habe der Sachverständige entgegen den Einwänden der Klägerin auch nicht angenommen, "dass automatisch jeder Suizid in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit" begangen werde. Er habe aber für die vorliegende Konstellation konkret ausgeführt, aufgrund welcher Überlegungen hier bei dem Verstorbenen von einem "Maß der gedanklichen Einengung und Fixierung auf die Selbsttötung als alternativlos und einzig gangbaren Weg in einer unerträglichen von Krisensituation unter Ausblendung aller entgegenstehenden Erwägungen" auszugehen sei.
Dass der Verstorbene seine Suizidhandlung bewusst und akribisch geplant habe, spreche nicht für seine Schuldfähigkeit. Der Sachverständige habe insoweit überzeugend dargelegt, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Ziel – seinen Freitod – gekannt habe. Er habe weder zwischen richtig und falsch unterscheiden noch Alternativen wahrnehmen können.
Es bestehe auch keine Ersatzpflicht der Beklagten aus Billigkeitsgründen (§ 829 BGB). Die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen stellten sich nicht besser als die des Geschädigten dar. Die freiwillige Haftpflichtversicherung des Verstorbenen sei nicht in sein Vermögen einzubeziehen. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer einen Schaden herbeiführe, für den er nicht verantwortlich sei, sei grundsätzlich nicht versichert. Bestehe damit kein Versicherungsschutz, könne dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehende Vermögenswert darstellen.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision vor dem Bundesgerichtshof begehrt werden.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.06.2020 in Verbindung mit Hinweisbeschluss vom 20.04.2020, 16 U 265/19, nicht rechtskräftig