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Dieselskandal: Grenzen der Ersatzlieferung bei einem Nachfolgemodell

22.07.2021, http://www.musterkanzlei.info/2002288/news/recht/top/12756-dieselskandal

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass im Verbrauchsgüterkauf der Käufer eines (hier jeweils aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung) mangelhaften Neufahrzeugs im Rahmen seiner Gewährleistungsrechte zwar grundsätzlich auch die Ersatzlieferung eines zwischenzeitlich hergestellten Nachfolgemodells verlangen kann, dies aber nur dann gilt, dass er einen entsprechenden Anspruch innerhalb von zwei Jahren ab Vertragsschluss gegenüber seinem Verkäufer geltend macht.

In den entschiedenen vier Fällen haben die Käufer im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs jeweils in 2009 oder 2010 ein mit einem Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug erworben, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandlauf erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des so genannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, verlangten die Käufer jeweils Mangelbeseitigung durch Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs. Dies lehnten die Verkäufer ab und boten stattdessen eine Mangelbeseitigung durch ein Software-Update an.

Allen Verfahren ist weiter gemein, dass die Käufer ihr Nachlieferungsbegehren erstmals nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach dem Kauf gegenüber den Verkäufern geltend machten. Da das ursprünglich erworbene Fahrzeugmodell zu diesem Zeitpunkt in allen Fällen vom Hersteller bereits durch ein Nachfolgemodell ersetzt worden war, verlangen die Käufer jeweils ein fabrikneues, typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion. In allen vier Verfahren erwarben die Kläger die Fahrzeuge dabei als Verbraucher, die bei einer Nachlieferung gemäß § 475 Absatz 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für die Nutzung der zunächst gelieferten mangelhaften Sache keinen Ersatz schulden. Die Verkäufer haben die Einrede der Verjährung jeweils nicht erhoben beziehungsweise gegenüber den Käufern zuvor ausdrücklich darauf verzichtet.

Die Berufungsgerichte sind in allen vier Verfahren unter Verweis auf den Hinweisbeschluss des BGH vom 08.01.2019 (VIII ZR 225/17) davon ausgegangen, dass die betreffenden Fahrzeuge bei Übergabe an die Käufer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet und deshalb mangelbehaftet gewesen seien. Weiterhin haben sie übereinstimmend angenommen, dass sich der Anspruch des Käufers auf Ersatzlieferung im Fall eines Modellwechsels auch auf das zwischenzeitlich am Markt verfügbare Nachfolgemodell erstreckt.

Davon ausgehend haben die Kläger in den Verfahren VIII ZR 254/20 und VIII ZR 118/20 mit ihrem Nachlieferungsbegehren beim Oberlandesgericht (OLG) Köln jeweils Erfolg gehabt. Demgegenüber hat das OLG Saarbrücken im Verfahren VIII ZR 275/19 einen Ersatzlieferungsanspruch des Klägers verneint, weil die dem beklagten Vertragshändler durch die Ersatzlieferung entstehenden Kosten die Kosten einer Mangelbeseitigung durch das vom Hersteller angebotene Software-Update bei weitem überstiegen, und der Kläger auch nicht substantiiert dargetan habe, dass durch das Aufspielen des Updates Folgemängel entstünden. Auch im Verfahren VIII ZR 357/20, in dem der Kläger das Fahrzeug unmittelbar von der Herstellerin erworben hatte, hat das OLG Schleswig mit vergleichbarer Begründung den Nachlieferungsanspruch des Klägers zurückgewiesen und lediglich seinem hilfsweise geltend gemachten deliktischen Schadenersatzanspruch teilweise (unter Abzug einer erheblichen Nutzungsentschädigung) stattgegeben.

In den Verfahren VIII ZR 254/20 und VIII ZR 118/20 verfolgen die Beklagten mit ihren Revisionen ihr Klageabweisungsbegehren jeweils weiter, während die Kläger in den Verfahren VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20 jeweils weiterhin die Nachlieferung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion wollen.

Der BGH hat in allen vier Verfahren entschieden, dass den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Lieferung eines mangelfreien Nachfolgemodells des von ihnen ursprünglich erworbenen Neufahrzeugs gemäß § 437 Nr. 1, § 434 Absatz 1, § 439 Absatz 1 Alt. 2 BGB nicht zusteht.

Dabei hat er zunächst seine bereits im Hinweisbeschluss angeführte Rechtsprechung bestätigt, nach der es sich bei der in den von den Klageparteien erworbenen Dieselfahrzeugen (Motortyp EA 189) installierten Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Insofern seien die Fahrzeuge bei Übergabe (und auch noch im Zeitpunkt der jeweiligen Nacherfüllungsbegehren) mangelhaft im Sinne von § 434 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 BGB gewesen.

Ebenfalls bestätigt hat der BGH seine Ausführungen im Hinweisbeschluss, wonach eine vom Käufer eines mangelhaften Neuwagens geforderte Ersatzlieferung gemäß § 439 Absatz 1 Alt. 2 BGB nicht bereits deshalb unmöglich und damit ausgeschlossen ist, weil anstelle des ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodells zwischenzeitlich ein Nachfolgemodell auf den Markt getreten ist. Solche Nachfolgemodelle seien zwar in der Regel in mancher Hinsicht fortentwickelt. Den Parteien sei aber bereits bei Abschluss des Kaufvertrags bewusst, dass der Fahrzeughersteller nach gewisser Zeit das bisherige Modell nicht mehr herstellen, sondern durch einen Nachfolger ersetzen wird. Bei einem Neuwagenkauf entspreche es vor diesem Hintergrund grundsätzlich dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsabschluss, dass das Recht des Käufers auf eine Mangelbeseitigung durch Ersatzlieferung nicht durch einen nach Vertragsabschluss herstellerseits erfolgten Modellwechsel ausgeschlossen ist, sondern sich die "Beschaffungspflicht" des Verkäufers in einem solchen Fall auch auf ein entsprechendes Nachfolgemodell erstrecken soll.

Allerdings unterliege diese auch ein etwaiges Nachfolgemodell umfassende Nachlieferungsverpflichtung mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen des Verkäufers gewissen Grenzen. Zwar werde dessen Schutz vor unverhältnismäßigen Kosten der Nachlieferung vom Gesetz bereits allgemein im Rahmen von § 439 Absatz 4 BGB berücksichtigt; zudem betrage die regelmäßige kaufrechtliche Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche gemäß § 438 Absatz 1 Nr. 3 BGB lediglich zwei Jahre. Dennoch sei stets sorgfältig und nicht nur schematisch zu prüfen, ob und inwieweit die Parteien im jeweiligen Einzelfall die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells tatsächlich als austauschbar mit dem ursprünglich gelieferten Kaufgegenstand angesehen haben.

Dabei ist laut BGH zu berücksichtigen, dass die den Verkäufer eines Verbrauchsguts im Nachlieferungsfall treffende Pflicht zur Beschaffung eines neuwertigen Nachfolgemodells von vornherein in zeitlicher Hinsicht nicht unbeschränkt gelten kann. Gerade bei einem Neuwagenkauf trete durch die Nutzung des Fahrzeugs durch den Käufer recht schnell ein deutlicher Wertverlust ein. Dennoch habe der Käufer im Fall der Nachlieferung die an ihn ausgelieferte mangelhafte Sache gemäß § 439 Absatz 5 BGB lediglich in dem abgenutzten Zustand und ohne Wertersatz an den Verkäufer herauszugeben. Zudem habe er bei einem – vorliegend in allen Verfahren gegebenen – Verbrauchsgüterkauf nach § § 474 Absatz 1 Satz 1, § 475 Absatz 3 Satz 1 BGB einen Ersatz für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Fahrzeugs (anders als etwa nach einem Rücktritt) nicht zu leisten.

In Ansehung dieser Umstände gebiete eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung des Parteiwillens, dass eine Nachfolgemodelle umfassende Beschaffungspflicht des Verkäufers im Fall einer mangelbedingten Ersatzlieferung von vornherein auf den Zeitraum begrenzt sein muss, innerhalb dessen die Vertragsparteien (bei Vertragsabschluss) mit dem Eintritt eines Gewährleistungsfalls und einem entsprechenden Nachlieferungsbegehren üblicherweise rechnen konnten. Im Rahmen einer typisierenden Betrachtung sowie unter Beachtung der im nationalen und europäischen Kaufrecht zugrunde gelegten Maßstäbe und Wertungen trage es den Interessen der am Neuwagenkauf beteiligten Vertragsparteien dabei grundsätzlich in angemessener Weise Rechnung, dass der Verkäufer im Gewährleistungsfall zur Nachlieferung eines zwischenzeitlich hergestellten Nachfolgemodells nur verpflichtet ist, wenn der Käufer einen entsprechenden Anspruch gegenüber seinem Verkäufer binnen eines Zeitraums von zwei Jahren ab Vertragsschluss erstmals geltend macht. Die Geltendmachung weiterer Gewährleistungsrechte bleibe dem Käufer unbenommen.

Ausgehend hiervon sei in allen entschiedenen Verfahren der von den Käufern jeweils geltend gemachte Nachlieferungsanspruch ausgeschlossen, weil einerseits die ursprünglich erworbenen Fahrzeugmodelle nicht mehr hergestellt werden, die Käufer aber andererseits eine Nachlieferung des entsprechenden Nachfolgemodells von ihren Verkäufern erst nach rund sieben beziehungsweise acht Jahren nach dem Kauf verlangt haben. Hierin unterschieden sich die vorliegenden Sachverhalte maßgeblich von dem des Hinweisbeschlusses, in dem lediglich einige Monate zwischen Vertragsschluss und Nachlieferungsbegehren gelegen hatten. Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände, aufgrund derer den jeweiligen Verkäufer vorliegend ausnahmsweise eine (deutlich) weitergehende und damit namentlich auch das vom jeweiligen Käufer begehrte Nachfolgemodell erfassende Beschaffungspflicht treffen würde, lägen in keinem Fall vor.

Demzufolge hat der BGH im Verfahren VIII ZR 118/20 das Berufungsurteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben und die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt. Entsprechendes gilt bezüglich des Nacherfüllungsbegehren des Klägers im Verfahren VIII ZR 254/20; da der Kläger in diesem Verfahren außerdem hilfsweise vom Kaufvertrag zurückgetreten ist und es insoweit noch weiterer Feststellungen bedarf, hat der BGH die Sache im Übrigen an das OLG zurückverwiesen. In den Verfahren VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20 hat er die Revisionen der Kläger gegen die (wenngleich aus anderen Gründen) klageabweisenden Berufungsurteile zurückgewiesen.

Bundesgerichtshof, Urteile vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20, VIII ZR 118/20, VIII ZR 275/19 und VIII ZR 357/20

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