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Cum-Ex-Antrag der Union: Sachverständige üben Kritik
In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 22.06.2023 ist der Antrag der Unionsfraktion (BT-Drs. 20/6420) auf Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses in der vorliegenden Form von den meisten Sachverständigen kritisch beurteilt worden.
Die Union will die Umstände der Steueraffäre der Hamburger Warburg-Bank im Zusammenhang mit so genannten Cum-Ex-Steuergestaltungen untersuchen lassen. Nach Ansicht der CDU/CSU-Fraktion wirft auch das Agieren der Freien und Hansestadt Hamburg unter der Verantwortung des damaligen Ersten Bürgermeisters, des späteren Bundesfinanzministers und jetzigen Bundeskanzlers Olaf Scholz, im Zusammenhang mit der Warburg-Steueraffäre schwerwiegende Fragen auf, die von dem Ausschuss geklärt werden sollen.
Für Lars Brocker, Präsident des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, stellt sich der Unionsantrag jedoch "insgesamt als rechtswidrig dar". Die Kompetenzgrenze, die das Bundesstaatsprinzip dem Untersuchungsrecht des Bundestages ziehe, sei überschritten worden. Auch im Fall eines Antrags einer qualifizierten Minderheit könne es "keine Pflicht des Bundestages geben, einen rechtswidrigen Einsetzungsbeschluss zu fassen. Einen verfassungswidrigen Untersuchungsausschuss einzusetzen, ist dem Bundestag angesichts seiner Verfassungsbindung (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) verboten." Eine von der Union ins Gespräch gebrachte Ergänzung des Antrags ändere daran nichts. Allenfalls einige Teile des Antrags seien zulässig.
Jelena von Achenbach, Professorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, erklärte, der Antrag der Unionsfraktion sei nur in Teilen verfassungsrechtlich zulässig. Es sollten Vorgänge in der hamburgischen Regierung und Verwaltung untersucht werden, obwohl es keine allgemeine Aufsicht des Bundestages über die Länder gebe. Eine Untersuchung von Vorgängen im Land sei zwar verfassungsrechtlich nicht generell ausgeschlossen, sondern könne als Grundlage der Kontrolle der Bundesregierung zulässig sein. Dies gelte insbesondere in Bezug auf die grundgesetzlich vorgesehene Aufsicht der Bundesregierung über die Bundesauftragsverwaltung. Insgesamt gehe es beim Steuerrecht und bei der Finanzverwaltung zudem um einen wesentlich durch den Bund geprägten Rechts- und Verwaltungsbereich. Um verfassungsrechtlich zulässig zu sein, müsste das Untersuchungsanliegen aber in diesem Sinne ausgerichtet und begründet werden. "Dies ist bislang nicht der Fall", konstatierte von Achenbach in ihrer Stellungnahme.
Auch Christoph Möllers (Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht) argumentierte unter anderem, zum Handeln der Bundesregierung, das von einem Untersuchungsausschuss untersucht werden könne, gehöre das Handeln des Bundeskanzlers in seiner amtlichen Funktion. Die frühere Tätigkeit in einer Landesregierung gehöre nicht dazu, weil die Kontrolle einer Landesregierung nicht zum Aufgabenbereich des Bundestags gehöre.
Christoph Schönberger, Professor an der Universität zu Köln, Rechtswissenschaftliche Fakultät, hielt in seiner Stellungnahme nur die Fragen in dem Unionsantrag für zulässig, "die sich auf das Aufsichtshandeln des Bundesfinanzministeriums, der Bundesregierung und von damit befassten Behörden im Geschäftsbereich der Bundesministerien im Hinblick auf die Geltendmachung von Steuerrückforderungen gegenüber der M.M. Warburg & Co. Bank durch die hamburgischen Landesbehörden beziehen". Die übrigen Fragen seien unzulässig, weil sie das Handeln der hamburgischen Behörden und die Kommunikation des heutigen Bundeskanzlers zum Gegenstand der Untersuchung machen wollten.
Professor Heiko Sauer (Universität Bonn, Fachbereich Rechtswissenschaft, Lehrstuhl für deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht) hielt den Einsetzungsantrag für überwiegend verfassungsrechtlich unzulässig, weil er im Kern auf die unmittelbare Untersuchung von Vorgängen in der Freien und Hansestadt Hamburg und des Handelns der dortigen politisch Verantwortlichen gerichtet sei. Dass es dabei um einen Fall der Bundesauftragsverwaltung gehe und auch finanzielle Interessen des Bundes berührt seien, ändere am Ergebnis nichts.
Anderer Auffassung war Paul Glauben (Ministerialdirigent a. D. beim Landtag Rheinland-Pfalz): Gegen den Einsetzungsantrag bestünden weder unter dem Gesichtspunkt der vertikalen Gewaltenteilung noch im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der parlamentarischen Untersuchung durch einen Untersuchungsausschuss verfassungsrechtliche Bedenken. Ein effektives Untersuchungsrecht erfordere, dass der Untersuchungsausschuss auch Feststellungen zum Verhalten von Länderbehörden treffen könne. Dass es parallele Ermittlungen von Untersuchungsausschüssen auf Landes- und Bundesebene gebe, sei Staatspraxis. Auch werde die Eigenstaatlichkeit Hamburgs nicht berührt.
Christian Waldhoff (Professor an der Humboldt-Universität Berlin, Juristische Fakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht) hielt den Antrag für verfassungsgemäß. Die Fragen nach Hamburger Ereignissen seien als maßgebliche Vorfragen für die anderen Fragen zu sehen. Der Bundestag als Zentralverantwortlicher für das gesamte Haushaltsgeschehen habe ein Eigeninteresse daran, dass dem Bund zustehende Steuereinnahmen ihm nicht vorenthalten würden. Das Budgetrecht als Königsrecht des Parlaments dürfe nicht an Informationsdefiziten scheitern. Hinzu komme, dass es beim heutigen Kanzler Scholz nicht nur um die damaligen Vorgänge in Hamburg gehe, sondern wie er in seinem jetzigen Amt mit diesen Vorgängen umgehe.
Deutscher Bundestag, PM vom 22.06.2023