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Abschied vom Geist der Diätenreform
Die Diäten der Landtagsabgeordneten in NRW steigen zum 1. Juli 2023 um 5,37% und der Betrag, den sie zusätzlich erhalten, um ihn in ihr Versorgungswerk einzuzahlen, um 6,5%. Diese Abkoppelung der Diäten von der Altersversorgung war von der Diätenreform, die 2005 Schluss machen sollte mit den Privilegien der Abgeordneten, nicht gewollt.
Sang- und klanglos ist am 24. Mai 2023 das Abgeordnetengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen geändert worden – zwischen den langen Wochenenden von Christi Himmelfahrt und Pfingsten. An diesem unauffälligen Mittwoch genehmigten sich die Abgeordneten des Landtags ein üppige Erhöhung ihrer Altersversorgung in sehr kurzem Prozess: bereits nach der ersten Lesung, ohne jede Aussprache im Plenum, ohne Beratung in einem Fachausschuss und ohne eine neu angesetzte zweite Lesung. Der Gesetzentwurf vom 16. Mai, ausgegeben am 19. Mai, wurde am 24. Mai „mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, GRÜNEN und FDP bei Enthaltung der Fraktion der AfD nach der 1. Lesung angenommen“. So steht es im Beschlussprotokoll.
Procedere: sehr kurzer Prozess
Das Procedere entspricht nicht dem üblichen Verfahren. In der Geschäftsordnung des Landtags NRW ist festgeschrieben, dass Gesetzentwürfe in zwei Lesungen beraten werden. In der ersten Lesung geht es um die Begründung und eine grundsätzliche Beratung, in der zweiten wird der Gesetzentwurf im Einzelnen beraten. Zwischen erster Lesung und zweiter Lesung muss mindestens ein Tag ohne Lesung liegen. Das war in diesem Fall definitiv nicht so. Im Ältestenrat hatten die Fraktionen im Vorfeld den verkürzten Prozess vereinbart.
Bei der Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Versorgungswerksgesetzes NRW geht es um eine üppige Erhöhung der Altersversorgung: Abgeordnete erhalten zusätzlich zu ihrer monatlichen Diät einen Betrag für ihre Altersversorgung. Dieser wird jetzt jährlich um mindestens 6,5% steigen. Begründung: Die Altersversorgung der Landtagsabgeordneten durch Abführungen von Beiträgen an das Versorgungswerk unterliege keiner Dynamisierung, die Leistungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung hingegen hätten in den vergangenen Jahren deutliche Steigerungen erfahren.
Maßlos: Altersversorgung de luxe
Bisher hat ein Landtagsabgeordneter zusätzlich zu seiner Diät (ab 1. Juli 2023 knapp 10.370 Euro monatlich) für seine Altersversorgung 2.539 Euro erhalten, die in das Versorgungswerk eingezahlt werden. In zwei Legislaturperioden wird somit eine Anwartschaft in Höhe von durchschnittlich 2.130 Euro monatlich erworben. Steigt der Beitrag um die geplanten 6,5%, beträgt die Rentenanwartschaft 2.450 Euro monatlich. Erarbeitet in zehn Jahren. Zum Vergleich: Der „Eckrentner“, der 45 Jahre lang durchschnittliche Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, erwirbt in zehn Jahren eine Rentenanwartschaft von 376 Euro. Wer zehn Jahre lang den Höchstbeitrag einzahlt, erwirbt eine Anwartschaft von rund 800 Euro.
Ziel der 6,5%-igen Steigerungsrate ist es, in möglichst kurzer Zeit eine Einzahlungssumme von rund 3.500 Euro monatlich zu erreichen. Orientierungspunkt ist dabei der Höchstbeitrag, den berufsständische Versorgungswerke in ihren Satzungen festlegen dürfen, der in der Praxis aber bei weitem nicht ausgereizt wird. So dürfen nordrhein-westfälische Rechtsanwälte in ihr Versorgungswerk höchstens 2.036,70 Euro monatlich einzahlen, Ärzte im Bereich der Ärztekammer Nordrhein in ihr Versorgungswerk höchstens 2.349,40 Euro. Die durchschnittlichen tatsächlichen Einzahlungen nordrhein-westfälischer Rechtsanwälte und Ärzte liegen jedoch deutlich darunter. Die Abgeordneten halten dagegen einen Monatsbeitrag von 3.500 Euro für nötig, um „eine auskömmliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu gewährleisten“, so die Begründung im Gesetzentwurf. Mit dem Gesetz soll außerdem ein Zuschuss in Höhe von 200.000 Euro pro Jahr, den das Land eigentlich nur bis 2019 zusätzlich pauschal in das Versorgungswerk einzahlen sollte, verstetigt und festgeschrieben.
Vom Geiste der Diätenreform aus dem Jahr 2005 ist nicht mehr viel übrig. Damals hatte sich der Bund der Steuerzahler NRW mit dem Start einer Volksinitiative für Transparenz und weniger Privilegien bei den Diäten der Landtagsabgeordneten eingesetzt. Mit Erfolg: In kürzester Zeit wurden 107.000 Unterschriften gesammelt. Im Zuge der Reform wurde das Versorgungswerk der Mitglieder des Landtags eingerichtet. Statt des vormals staatlich finanzierten Versorgungssystems ohne eigene Beitragsleistung zahlen die Abgeordneten seitdem selbst für ihre Altersversorgung Beiträge, die sie zusätzlich zu ihren Diäten erhalten, in dieses Versorgungswerk ein.
Kritik: BdSt NRW schreibt Fraktionsvorsitzenden
BdSt-Vorsitzender Rik Steinheuer hat die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SDP, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im NRW-Landtag angeschrieben und die „ohne jede Eilbedürftigkeit rund um das Himmelfahrtswochenende durch das Parlament gepeitschten Änderungen bei der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Landtagsabgeordneten“ kritisiert. Die Gesetzesänderung zeige, wie weit die Landtagsabgeordneten von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt sind, von denen sie gewählt wurden. Wenn die Abgeordneten der Ansicht sind, dass die Steigerungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung der vergangenen Jahre die gesetzlichen Rentner besserstellen, lautet unser Vorschlag: Statt ins Versorgungswerk sollen die Abgeordneten in die Gesetzliche Rente einzahlen. Eine solche Regelung wäre klar und eindeutig und entspräche dem Geist der Diätenreform, mit der im Jahr 2005 die Privilegien der Abgeordneten und insbesondere ihre übertriebene staatliche Altersversorgung abgeschafft wurden. Im Gegenzug wurden seinerzeit die monatlichen Diäten in etwa verdoppelt. Eine staatliche Vollversorgung, obwohl jedes Mitglied des Landtags in der Regel vor und nach seiner Zeit als Abgeordneter (und etliche auch parallel zum Mandat) einer Erwerbstätigkeit nachgeht und fürs Alter vorsorgt, ist heute so indiskutabel wie vor 20 Jahren. Mit dem vorliegenden Gesetz verabschieden sich die Abgeordneten von dem Konsens mit den Bürgern, die der BdSt-Volksinitiative Diätenreform 2005 innerhalb weniger Wochen zum Erfolg verholfen haben. Zutiefst bedauerlich, dass der NRW-Landtag den damals so entschlossen eingeschlagenen Weg einer transparenten und vorbildlichen Abgeordnetenbezahlung wieder verlassen hat.
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