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Gewinne mit den Abwassergebühren?
Professor Dr. Christoph Brüning gilt als einer der renommiertesten Gebührenrechts-Experten Deutschlands. Im Interview legt er die wechselseitigen Beziehungen und Auswirkungen der Abschreibungen und Zinsen bei der Gebührenkalkulation dar.
Das Kommunalabgabengesetz Nordrhein-Westfalen sieht vor, dass das so genannte aufgewandte Kapital zu verzinsen ist. Ist es nicht nachvollziehbar, weil die Kommune das beispielsweise in die Kläranlage investierte Geld ja nicht für andere Aufgaben nutzen kann?
Zinsen für Fremdkapital rechtfertigen sich ohne weiteres daraus, dass für darlehensweise zur Verfügung gestellte Geldbeträge Zinsen geschuldet werden. Zinsen für Eigenkapital finden den Grund darin, dass dem Einrichtungsträger ein Zinsgewinn entgeht, wenn er sein Kapital im eigenen Betrieb einsetzt, anstatt es gegen Zinsen an Dritte auszuleihen. Aufgewandtes Kapital als Zinsbasis ist übrigens nur noch das in der Einrichtung noch gebundene Kapital. Von dem ursprünglich investierten Kapital sind damit die Beträge abzuziehen, die in den vorangegangenen Kalkulationsperioden schon über den Ansatz von Abschreibungen zurückgeflossen sind.
… aber wie kommt es zu Zinssätzen zwischen 1,2 und gut 6 Prozent in den NRW-Kommunen? Das klingt wie aus der Luft gegriffen.
Dass sich in den Gebührenkalkulationen mancher Gemeinden ein Zinsniveau etabliert hat, in dem die langjährige Niedrigzinsphase bislang kaum Spuren hinterlassen hat, liegt daran, dass dort die Grenze dessen ausgereizt wird, was das OVG Münster in ständiger Rechtsprechung als zulässig ansieht. Danach wird nämlich ein Nominalzins nicht nur mit demjenigen Zins akzeptiert, der am Kapitalmarkt in der Kalkulationsperiode tatsächlich für Kommunaldarlehen verlangt wird. Der zulässige Höchstzins darf auch über einen Durchschnittssatz der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten aus 50 Jahren ermittelt werden. Eine Orientierung an den tatsächlichen Verhältnissen des Einrichtungsträgers ist mit so einem Betrachtungszeitraum kaum noch gegeben.
Auch Abschreibungen sind nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes zu bilden. Dabei berücksichtigen zahlreiche Kommunen den Wiederbeschaffungszeitwert, andere den Anschaffungswert. Müsste dabei nicht auch stärker differenziert werden?
Zunächst ist es unerheblich, ob die abzuschreibenden Güter des Anlagevermögens durch Eigenkapital oder Fremdkapital finanziert sind. Nicht einmal Beiträge und Zuschüsse Dritter müssen in Nordrhein-Westfalen von der Abschreibungsbasis abgezogen werden, weil das Anlagevermögen unabhängig von seiner Finanzierung einem Wertverzehr unterliegt. Das führt allerdings zu der weiteren Frage, ob damit eine Bindung der Abschreibungserlöse für die Finanzierung künftiger Aufwendungen einhergeht oder dann trotzdem eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Finanzierung mit Eigen- oder Fremdkapital verbleibt. Da auch für durch Fremdkapital finanzierte Anlageteile Abschreibungserlöse erzielt werden, die über die für eine Schuldtilgung erforderlichen Beträge hinausgehen, ändert sich nämlich die Kapitalstruktur des Einrichtungsbetriebs: es vergrößert sich der Eigenkapitalanteil.
Im Unterschied zu anderen Ländern legt das KAG NRW nicht ausdrücklich fest, welcher Wert den Abschreibungen zugrunde zu legen ist. Deshalb wird hier auch der Wiederbeschaffungszeitwert als Abschreibungsbasis für zulässig erachtet.
Betriebswirtschaftlich gesehen werden durch kalkulatorische Abschreibungen Wertverzehre beim abnutzbaren Anlagevermögen verursachungsgerecht erfasst. Gründe der Substanzerhaltung streiten bei der Bemessung der Abschreibungen gegen die historischen Anschaffungs- und für den Wiederbeschaffungswert in der Abrechnungsperiode, weil damit ein dem aktuellen Preisniveau entsprechender Wertverzehr abgebildet wird. Anderenfalls sind die Durchführung der Produktion und die Erhaltung der Kapazitäten auch in Zukunft nicht gewährleistet. Bei einer Abschreibung der Anschaffungs- und Herstellungskosten muss Substanzerhaltung zusätzlich durch eine Zuführung aus allgemeinen Mitteln in Höhe der Inflation erfolgen, falls die kalkulatorische Verzinsung das nicht auffängt.
Spielt es auch eine Rolle, dass die Aufgaben hoheitlich wahrgenommen werden? Der Bürger hat kein Wahlrecht, sein Abwasser und den Abfall anderweitig zu entsorgen.
Gerade weil bei den genannten Entsorgungseinrichtungen ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht, sieht das Kommunalabgabenrecht vor, dass nur die erforderlichen Kosten in die Gebührenkalkulation eingestellt werden. Überflüssige und übermäßige Kostenansätze sind auszusondern bzw. auf das Erforderliche zu begrenzen. Bei kapitalintensiven Einrichtungen spielen deshalb Abschreibungen und Verzinsung eine so zentrale Rolle für die Gebührenhöhe. Und natürlich schauen hier die Verwaltungsgericht ganz genau hin.
Was macht die nordrhein-westfälische Kommune, die über die Verzinsung und die Abschreibung „Gewinne macht“, eigentlich mit dem Geld?
Die Rechtsprechung meint, dass durch die Gebühren Mittel für eine Ersatzbeschaffung angesammelt werden sollen, weil erst dadurch die Substanzerhaltung der Anlagen gewährleistet werde. Dafür kann der Haushaltsgrundsatz der stetigen Aufgabenerfüllung aus § 75 Abs. 1 Satz 1 GO NRW angeführt werden. Ferner bilden etwa Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung pflichtige Daueraufgaben, woraus das Ziel der fortbestehenden Betriebsfähigkeit als Einrichtungszweck abgeleitet werden kann. Allerdings leidet die Fixierung auf die Ersatzbeschaffung daran, dass diese ja keineswegs sicher feststeht, sondern sich deren Notwendigkeit erst in (ferner) Zukunft klärt. Und selbst wenn sie dann ansteht, hat der Einrichtungsträger die Wahl, für die Investition statt der angesammelten Gebühreneinnahmen Fremdkapital einzusetzen. Dies bestätigt nicht zuletzt das OVG Münster dadurch, dass es das durch Abschreibungen entstandene Kapital (sog. Rückflusskapital) sowie damit erwirtschaftete Zinserträge dem allgemeinen Haushalt der Gemeinde zuordnet.
Im Gebührenrecht ist es aber doch so, dass keine Gewinne gemacht werden dürfen. Was sagt der Gesetzgeber dazu?
Die Kommune darf über Gebühren nur den Betrag erwirtschaften, den sie bei einer Anlage des eingesetzten Kapitals am Kapitalmarkt mit Zins und Zinseszins auch erzielt hätte; ein darüber hinaus gehender kalkulatorischer Gewinn bleibt ihr verwehrt. Die Begrenzung der Einrichtungen der Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung auf die Verzinsung einer alternativen Anlage am Kapitalmarkt hat Bedeutung für den Ansatz von Abschreibungen und kalkulatorischen Zinsen, insbesondere für die Kombination bestimmter Wert- und Zinsansätze. Dadurch, dass sowohl Abschreibungen nach Wiederbeschaffungszeitwerten als auch die Verzinsung zu einem Nominalzins der Sache nach auf Substanzerhaltung ausgerichtet sind, stehen sie in gegenseitiger Abhängigkeit. In der Kostenrechnung eines gebührenerhebenden Einrichtungsbetriebs ist diese Kombination von Abschreibungen und (Eigen-)Kapitalverzinsung unter dem Gesichtspunkt der doppelten Berücksichtigung der Preissteigerung bzw. eines Gewinnanteils daher unzulässig. Wenn das OVG Münster insoweit aber Kostenansätze akzeptiert, die zu kalkulatorischen Gewinnen führen, fehlt es dafür an einem rechtfertigenden Grund.
Die Verwaltungsgerichte weisen die Klagen wegen „überteuerter“ Gebühren regelmäßig ab. Was ist nun eigentlich die Aufgabe des Oberwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen?
Das ist so pauschal nicht richtig. Viele Klagen gegen Gebührenbescheide sind erfolgreich gewesen. Da die Kommunalabgabengesetze nur fragmentarische Vorgaben zu den gebührenfähigen Kosten enthalten und im Übrigen für die Kostenermittlung auf betriebswirtschaftliche Grundsätze verweisen, bleiben viele offene Fragen.
So gehen die bis heute von den Verwaltungsgerichten akzeptierten Kostenansätze zu Abschreibungen und Zinsen auf ein Urteil des OVG aus dem Jahr 1994 zurück.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der Richterspruch aus Münster zu einer Änderung der Rechtsprechung führen wird?
Das vermag ich nicht zu sagen. Nachdem das OVG Münster in den 1990er Jahren ein betriebswirtschaftliches Gutachten zu mehreren Fragen eingeholt hatte, beabsichtigt der zuständige Senat in einem anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren nun offenbar, erneut ein Sachverständigengutachten zur Frage der angemessenen Verzinsung einschließlich des betriebswirtschaftlichen Zusammenhangs der Zinshöhe zu beauftragen. Ob betriebswirtschaftliche Methoden auch für die Gebührenkalkulation geeignet sind und in der Gebührenbedarfsrechnung angewendet werden dürfen, entscheidet allein das Gericht. Ändert es seine Rechtsprechung, müssen die Einrichtungsträger in ihren Gebührenkalkulationen für zukünftige Veranlagungszeiträume nachziehen; anderenfalls hätten Klagen von Gebührenschuldnern dann Erfolg.
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Professor Dr. Christoph Brüning war Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, ist seit 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und seit Jahresbeginn Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts. Seine kritischen Positionen zur derzeitigen Gebührenkalkulation vieler NRW-Kommunen hat er für den BdSt in einem Gutachten zusammengefasst, das auch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden wird.
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