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Wohnungseigentümergemeinschaft: Prozessführungsbefugnis zu Geltendmachung von Mängelrechten in Bezug auf Gemeinschaftseigentum

15.11.2022, https://onlineservice.addison.de/1748528759/urlapi/xml/aktuell/show/id/13439

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann auch nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) die auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gerichteten Rechte der Erwerber von Wohnungseigentum weiterhin durch Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen. Dies stellt der Bundesgerichtshof (BGH) klar. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen für eine Haftung des Verkäufers eines Grundstücks wegen Altlasten beziehungsweise eines Altlastenverdachts präzisiert worden.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Wohnungseigentumsanlage befindet sich auf einem Grundstück in München, das ursprünglich im Eigentum der Beklagten, einem Immobilienunternehmen, stand. Die Beklagte teilte das Grundstück mit dem bestehenden Gebäude 2012 in Wohnungseigentum auf und begann mit dem Verkauf der Einheiten. Für den zunächst beabsichtigten Bau einer Tiefgarage ließ sie im Frühjahr 2013 die Böden des Innenhofs und der Außenflächen der Anlage untersuchen. Dabei wurde eine ehemalige Kiesgrube aufgefunden, deren aufgefüllte Böden, wie weitere Untersuchungen zeigten, unterschiedlich mit Schadstoffen belastet sind. Die Beklagte stoppte daraufhin zunächst den Verkauf und informierte die Stadt München.

Behördlich angeordnete Untersuchungen des Oberbodens auf Altlasten ergaben Belastungen unter anderem mit Benzo(a)pyren (BaP). In einer von der Beklagten in Auftrag gegebenen gutachterlichen Bewertung der Untersuchungsergebnisse wurde für den Innenhof ein Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 30 Zentimetern vorgeschlagen. Auf einen Austausch des tieferliegenden Bodens könne wegen der geplanten Errichtung der Tiefgarage verzichtet werden. Maßnahmen im südlichen Außenbereich seien trotz der festgestellten Belastungen wegen einer möglichen Einzäunung der betroffenen Bereiche nicht erforderlich.

Ab dem 29.05.2013 setzte die Beklagte den Verkauf der Wohnungen fort. In den Kaufverträgen wies sie auf eine allein den Innenhof betreffende Altlastenauskunft der Stadt München hin und verpflichtete sich zur Durchführung der für den Innenhof vorgeschlagenen Sicherungsmaßnahmen. Die Haftung für eine Altlastenfreiheit des Grundstücks außerhalb des Innenhofs wurde ausgeschlossen. In der Folgezeit tauschte die Beklagte den Oberboden des Innenhofes in einer Tiefe von 20 Zentimetern aus. Der Bau einer Tiefgarage erfolgte nicht. In zwei Eigentümerversammlungen im Mai 2014 und im Oktober 2015 beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich die gerichtliche Geltendmachung möglicher Ansprüche wegen Altlasten im Innenhof und im südlichen Außenbereich.

Das LG hat der mit dem Hauptantrag beanspruchten Feststellung des Bestehens von Mängelansprüchen teilweise stattgegeben. Das Oberlandesgericht (OLG) hat den Hauptantrag als unzulässig abgewiesen und auf den Hilfsantrag der Klägerin die Beklagte zur Beseitigung der vorhandenen Altlasten durch Sanierung des Innenhofs und des südlichen Außenbereichs verurteilt, jedoch nur, soweit jeweils der Wert von 0,5 mg/kg BaP überschritten wird.

Mit der Revision strebt die beklagte Verkäuferin die vollständige Abweisung der Klage an. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlussrevision ihr Klagebegehren weiter, soweit dieses erfolglos geblieben ist. Der BGH hat das Urteil auf die Revision der Beklagten aufgehoben, soweit diese zur Beseitigung verurteilt worden ist. Insoweit hat er die Sache an das OLG zurückverwiesen. Die Anschlussrevision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Der Hilfsantrag sei zulässig, so der BGH. Insbesondere sei die Klägerin für die Geltendmachung des Nachbesserungsanspruchs prozessführungsbefugt. Dies beruhe auf den im Mai 2014 und Oktober 2015 gefassten Beschlüssen der Wohnungseigentümer. Allerdings sei die Regelung zur "Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss" in § 10 Absatz 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG alter Fassung infolge der während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen WEG-Reform ersatzlos entfallen. Dieser Bestimmung zufolge habe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der den einzelnen Erwerbern aus den jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer zustehenden Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen können. Nunmehr regele § 9a Absatz 2 WEG nur noch die "geborene Ausübungsbefugnis". Danach könne die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (ohne Weiteres) die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und sie nehme die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.

Gleichwohl könnten Ansprüche aus den Erwerbsverträgen, die die Mängelbeseitigung betreffen, weiterhin durch Mehrheitsbeschluss "vergemeinschaftet" werden, so der BGH weiter. Das habe hier zur Folge, dass die Prozessführungsbefugnis der Klägerin fortbesteht. § 9a Absatz 2 WEG neuer Fassung erfasse jedenfalls nicht die primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer. Diese ergäben sich nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum, sondern aus den individuellen Erwerbsverträgen, die die Wohnungseigentümer mit dem teilenden Eigentümer geschlossen haben. Sie erforderten keine einheitliche Rechtsverfolgung. Denn der Wohnungseigentümer, der selbstständig die Mängelbeseitigung gegen den Veräußerer verfolgt, handele grundsätzlich auch im Interesse aller anderen Wohnungseigentümer und dürfe seine vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen.

Eine Vergemeinschaftung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche der Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss werde durch § 9a Absatz 2 WEG andererseits nicht ausgeschlossen. Die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergibt sich laut BGH in der Sache unverändert aufgrund der Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum sowie der in § 19 Absatz 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Hierfür spreche auch die Gesetzesbegründung, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bauträgerrecht, nach der eine Vergemeinschaftung von werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen möglich war, fortgelten soll. Entsprechendes müsse für die Vergemeinschaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen gelten.

Nur diese Sichtweise trage der nach der Reform unveränderten Interessenlage der Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung. Dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nunmehr der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obliegt, habe nichts daran geändert, dass es Sache der Wohnungseigentümer sei, in der Eigentümerversammlung darüber zu befinden, auf welche Weise Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen sind. Ordnungsmäßiger Verwaltung werde es auch weiterhin regelmäßig entsprechen, einen gemeinschaftlichen Willen darüber zu bilden, wie die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu bewirken ist und gegebenenfalls welche vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen.

In der Sache trage die vom OLG gegebene Begründung die Verurteilung der Beklagten zur Nacherfüllung nach § 439 Absatz 1 BGB nicht. Zwar sei die Annahme, dass das Grundstück wegen des Vorfindens einer aufgefüllten Kiesgrube und eines hierdurch begründeten Altlastenverdachts einen Mangel im Sinne des § 434 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 BGB a. F. aufweist, nicht zu beanstanden. Die von dem Verkäufer wegen eines Altlastenverdachts geschuldete Nachbesserung umfasse aber zunächst nur die Ausräumung des Verdachts durch Aufklärungsmaßnahmen. Ein Altlastenverdacht rechtfertige hingegen nicht die Sanierung des Grundstücks, zu der die Beklagte vom OLG verurteilt worden ist. Die Beseitigung von Altlasten könne der Käufer erst dann verlangen, wenn sich der Verdacht bestätigt. Entscheidend ist laut BGH deshalb, ob über den Altlastenverdacht hinaus eine tatsächliche Bodenbelastung in einem Umfang vorliegt, der die vom OLG ausgesprochene Verurteilung zur Sanierung trägt.

Hiervon könne auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht ausgegangen werden. Eine von der üblichen Beschaffenheit abweichende Belastung eines Grundstücks mit Schadstoffen und damit ein Mangel sei anzunehmen, wenn nach öffentlich-rechtlichen Kriterien eine schädliche Bodenveränderung oder eine Altlast im Sinne des Bundesbodenschutzgesetzes vorliegt (§ 2 Absatz 3 beziehungsweise Absatz 5 BBodSchG). Für die Beurteilung, ob eine Belastung des Grundstücks mit Schadstoffen einen Sachmangel darstellt, könnten die zur behördlichen Gefährdungsabschätzung gemäß § 8 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BBodSchG maßgeblichen Prüf- und Maßnahmenwerte herangezogen werden. Liegen der Gehalt oder die Konzentration eines Schadstoffes unterhalb des jeweiligen Prüfwertes, sei insoweit der Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast nach § 4 Absatz 2 Satz 1 BBodSchV ausgeräumt, und das Grundstück weise regelmäßig die übliche Beschaffenheit auf. Andererseits begründe allein die Überschreitung von Prüfwerten, von der das OLG hier ohne Rechtsfehler ausgegangen ist, keinen über den Altlastenverdacht hinausgehenden Sachmangel, sondern erhärte lediglich einen bereits bestehenden (allgemeinen) Verdacht. Da das Berufungsgericht keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, dass im Innenhof und im südlichen Außenbereich des Grundstücks auch Maßnahmenwerte nach § 8 Absatz1 Satz 2 Nr. 2 BBodSchG überschritten werden, sei die Verurteilung der Beklagten aufzuheben.

Die Voraussetzungen für eine abschließende Entscheidung über die Revision der Beklagten lägen nicht vor. Abweisungsreif sei der Hilfsantrag nicht. Auf den in den Kaufverträgen vereinbarten Haftungsausschluss könne sich die Beklagte nach § 444 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht berufen. Verschweigt der Verkäufer arglistig einen ihm bekannten Altlastenverdacht und bestätigt sich später der Verdacht, handele er in aller Regel auch im Hinblick auf die – hier zugunsten der Klägerin zu unterstellenden – tatsächlich vorhandenen Altlasten arglistig. Den in den ab dem 29.05.2013 geschlossenen Kaufverträgen enthaltenen Hinweis auf die Altlastenproblematik sehe das OLG rechtsfehlerfrei als bagatellisierend und deshalb als unzureichend an.

Zutreffend sei schließlich, dass der Anspruch gemäß § 439 Absatz 1 BGB beim Kauf einer gebrauchten Eigentumswohnung und Mängeln des Gemeinschaftseigentums auf volle – hier von der Klägerin verlangte – Nacherfüllung gerichtet ist. Es bestehe nicht lediglich ein auf die Quote des Miteigentumsanteils beschränkter Anspruch auf Freistellung von Mängelbeseitigungskosten. Schließlich könne der Hilfsantrag auch nicht deshalb abgewiesen werden, so der BGH, weil er auf ein zu weitreichendes Ziel, nämlich eine Sanierung, gerichtet ist, obwohl derzeit nur eine Gefahrerforschung verlangt werden kann. Zu diesem erstmalig vom Senat hervorgehobenen Gesichtspunkt müsse den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Möglichkeit eingeräumt werden, gegebenenfalls die Anträge umzustellen sowie ergänzend Beweis anzubieten.

Die Anschlussrevision der Klägerin ist laut BGH unbegründet, weil der von ihr weiter verfolgte Feststellungsantrag mangels Bestimmtheit unzulässig ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.11.2022, V ZR 213/21

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