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Wahlrechtsdebakel

Aus dem Heft 14.09.2020

Großer Bluff statt großer Reform

Union und SPD haben sich auf eine „Wahlrechtsreform“ geeinigt, die keine ist. Dem Bundestag droht eine weitere Vergrößerung. Das unwürdige Geschacher um das wichtigste Element einer Demokratie beschädigt das Ansehen des Parlaments im Wahlvolk. DER STEUERZAHLER gibt einen Überblick.
Es ist an sich schon eine politische Bankrotterklärung, dass sich die Mehrheitsfraktionen im Bundestag – Union und SPD – jahrelang nicht auf eine Reform des Wahlrechts einigen konnten, um der anhaltenden Vergrößerung des XXL-Bundestags entgegenzuwirken. Nun mussten sie das wichtige Thema ihren Parteispitzen zur Klärung überlassen. Damit hat die parlamentarische Mehrheit im Bundestag ein originäres Parlamentsthema aus der Hand gegeben.

Ende August mussten die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD festlegen, wie und ob es mit der längst überfälligen Wahlrechtsreform weitergeht. Doch ein wegweisender Schiedsspruch der Eltern, um den kindlichen Streit im Parlament beizulegen, blieb aus. Beschlossen wurden zwar Korrekturen am Wahlrecht, von Union und SPD als „Reform“ deklariert, aber braucht es nicht viel Fachwissen, um die Vereinbarung als das zu entlarven, was sie ist: Ein Debakel für die parlamentarische Demokratie und ein Düpieren jedes einzelnen Wählers.

Wirkungslose Eingriffe
Was wurde genau beschlossen? Nach dem Willen der Koalition sollen ab der Bundestagswahl 2021 drei Überhangmandate nicht mehr durch sogenannte Ausgleichsmandate kompensiert werden. Seit der Wahlrechtsänderung im Jahr 2013 werden Überhangmandate durch Ausgleichsmandate vollständig ausgeglichen, um das durch die Überhangmandate verzerrte Zweitstimmenergebnis (Wählerstimmen für die Parteien) wiederherzustellen. Profiteure von Überhangmandaten sind in der Regel CDU und CSU – von aktuell 46 Überhangmandaten im Bundestag entfallen 43 auf die Union, lediglich drei auf die SPD. Durch den marginalen Eingriff des NichtAusgleichs von Überhangmandaten erhofft sich die Koalition zur Wahl 2021 eine dämpfende Wirkung auf die Anzahl der Ausgleichsmandate und damit auf die Größe des Bundestags. Allerdings ist das eine garantielose Rechnung. Aktuell sitzen im Bundestag 709 Abgeordnete. 598 davon sind gesetzlich vorgeschrieben. Hinzu kommen besagte 46 Überhangmandate, die zu weiteren 65 Ausgleichsmandaten geführt haben – rechnerisch hat ein Überhangmandat somit 1,4 Ausgleichsmandate erzeugt. Die dämpfende Wirkung, wenn lediglich drei Überhangmandate künftig nicht mehr ausgeglichen werden sollen, ist offenkundig minimal. Hinzu kommt, dass nicht die Anzahl der Überhangmandate allein entscheidend ist, wie viele Ausgleichsmandate zugeteilt werden, sondern das Maß der Verzerrung des Zweitstimmenproporzes durch eben jene Überhangmandate. So gab es in der Wahlperiode 2013 bis 2017 lediglich vier Überhangmandate, die aber mit einem Faktor von 7,25 gehebelt werden mussten, um die Zweitstimmenpräferenz des Souveräns auch tatsächlich im Bundestag abzubilden – das Ergebnis waren 29 Ausgleichsmandate.

Wächst der Bundestag weiter?
Neben den ausgleichslosen Überhängen wurden auch Kleinstkorrekturen am SitzZuteilungsverfahren beschlossen – eine teilweise Verrechnung von Überhang- mit Listenmandaten der gleichen Partei über Ländergrenzen hinweg. Auch dieser Ansatz entpuppt sich als Kosmetik, da sich beispielsweise Überhänge der CSU gar nicht mit Listen in anderen Ländern verrechnen lassen. Und: Je mehr Überhangmandate das Wahlergebnis produziert, desto geringer ist der gewünschte Effekt beim geänderten Zuteilungsverfahren. Dies wird sich wohl 2021 zeigen, denn es ist davon auszugehen, dass auch die Bundestagswahl 2021 eine sehr hohe Anzahl an Überhangmandaten generieren wird.

Im Ergebnis ist die Wahlrechtseinigung von Union und SPD lediglich ein großer Bluff. Seit 2013 ist das Problem bekannt, dass dem Wahlrecht, je nach Wahlergebnis, eine unkontrollierte Mandatsvermehrung innewohnt. Die aktuellen Beschlüsse sind meilenweit von einer echten Reform entfernt,die die Wähler verdient hätten. Beschlossen wurde pure Kosmetik, die den überteuren XXL-Bundestag nach der Wahl 2021 zementiert. Die zaghaften Eingriffe können nicht einmal garantieren, dass der nächste Bundestag weniger als 709 Abgeordnete umfasst. Möglich ist weiterhin eine deutliche Parlaments-Aufblähung. Das aber wäre ein Debakel für das Ansehen der parlamentarischen Demokratie und ein Schlag ins Gesicht der Wähler.

Bereits heute ist die effiziente Arbeitsfähigkeit des Bundestags in Teilen geschwächt. Je größer das Parlament und je mehr Tohuwabohu, desto stärker ist die Schwächung der Würde eines jedes einzelnen Mandats. Auch ist der Bundestag dieses Jahr mit Ausgaben von mehr als einer Milliarde Euro so teuer wie nie. Steigen die Abgeordnetenzahlen weiter, steigen auch die Kosten, und zwar deutlich, da jedes einzelne Mandat unmittelbare Kosten von rund 750.000 Euro pro Jahr verursacht.

Taktieren und Verschleppen
Auch der Beschluss der Koalition, zur übernächsten Bundestagswahl 2025 die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 zu reduzieren, greift viel zu kurz, um eine grundlegende Wahlrechtsreform mit einer deutlichen Verkleinerung des Parlaments einzuleiten. Durch eine neue Reformkommission, die bis Mitte 2023 vielfältige Wahlrechtsthemen diskutieren soll, droht nur ein weiterer Stillstand durch gegenseitige parteipolitische Blockaden. Union und SPD scheinen an einer echten Wahlrechtsreform, die dem Wähler endlich wieder Verlässlichkeit gibt, weiterhin nicht interessiert zu sein. Das Taktieren und Verschleppen geht also weiter. Billigend nimmt die Koalition damit in Kauf, dass der Bundestag weiter an Akzeptanz in der Bevölkerung verliert und der Politikverdrossenheit Vorschub geleistet wird. Der BdSt wird dieses Politikversagen immer wieder anprangern. Der Verband wird die Arbeit der neuen Reformkommission eng begleiten und deutliche Nachschärfungen fordern. Der Wähler hat nach Jahren der parteipolitischen Blockaden ein Wahlrecht verdient, das die Anzahl der Mandate effektiv begrenzt und die Parlamentskosten unter Kontrolle hält.

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