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Sächsische Corona-Schutz-Verordnung: Untersagung von Versammlungen war unverhältnismäßig
Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung (SächsCoronaSchVO) vom 17.04.2020 über die Zulässigkeit von Versammlungen waren mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.
Nach § 3 Absatz 1 Satz 1 SächsCoronaSchVO waren alle Veranstaltungen, Versammlungen und sonstigen Ansammlungen untersagt. Im Einzelfall konnten Ausnahmegenehmigungen auf Antrag insbesondere für Versammlungen im Sinne des Sächsischen Versammlungsgesetzes vom zuständigen Landkreis oder der zuständigen Kreisfreien Stadt erteilt werden, wenn dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar war (§ 3 Absatz 3 SächsCoronaSchVO). Das OVG hat den Antrag einer Privatperson, festzustellen, dass diese Vorschriften unwirksam waren, abgelehnt.
Das BVerwG hat das OVG-Urteil geändert und festgestellt, dass § 3 Absatz 1 Satz 1 SächsCoronaSchVO unwirksam war, soweit er Versammlungen untersagt hat. Das OVG habe ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass Untersagungen von Versammlungen auf §§ 28 Absatz 1, 32 Infektionsschutzgesetz in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.03.2020 gestützt werden konnten, so das BVerwG. Auch habe der Verordnungsgeber davon ausgehen dürfen, dass Schutzauflagen – zum Beispiel Abstandsgebote – das Ziel, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, nicht ebenso wirksam erreicht hätten wie ein generelles Versammlungsverbot.
Dieser Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung standen laut BVerwG jedoch außer Verhältnis zur Schwere des Grundrechtseingriffs. Die Untersagung aller Versammlungen durch § 3 Absatz 1 SächsCoronaSchVO sei ein schwerer Eingriff in die Versammlungsfreiheit gewesen, die für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend sei. Der Ausnahmevorbehalt in § 3 Absatz 3 SächsCoronaSchVO habe das Gewicht des Eingriffs nur unwesentlich gemindert. Die Vorschrift habe nicht erkennen lassen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein könnten, und selbst für infektiologisch vertretbare Versammlungen habe sie die Erteilung der Genehmigung in das Ermessen der Behörde gestellt.
Eine nachträgliche Konkretisierung der Genehmigungsvoraussetzungen durch die Rechtsprechung könnte daran für die auf zwei Wochen begrenzte Geltungsdauer der Verordnung nichts mehr ändern. Zwar habe der Verordnungsgeber das Risiko für Leben und Gesundheit im Zusammenhang mit COVID-19 weiterhin als hoch einschätzen dürfen. Er habe angesichts der Verlangsamung der Infektionsgeschwindigkeit in Sachsen aber Spielraum für schrittweise Lockerungen gegenüber den Beschränkungen durch die Verordnung vom 31.03.2020 gehabt. In dieser Situation sei ein generelles Versammlungsverbot, das lediglich durch einen nicht konkretisierten Ausnahmevorbehalt geöffnet war, der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für ein freiheitliches Staatswesen nicht gerecht geworden, so das BVerwG. Der Verordnungsgeber hätte selbst regeln müssen, unter welchen Voraussetzungen Versammlungen infektiologisch vertretbar sein können, um zumindest Versammlungen unter freiem Himmel mit begrenzter Teilnehmerzahl unter Beachtung von Schutzauflagen wieder möglich zu machen. Nur so hätte er die erforderliche Rechtssicherheit für Bürger und Behörden schaffen können.
Den Antrag festzustellen, dass das Gebot, im öffentlichen Raum einen Mindestabstand von 1,5 Meter außer zu bestimmten Personen einzuhalten (§ 2 Absatz 2 SächsCoronaSchVO), unwirksam war, hat das OVG nach Ansicht des BVerwG hingegen ohne Bundesrechtsverstoß abgelehnt. Insoweit habe die Revision des Antragstellers keinen Erfolg.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.06.2023, BVerwG 3 CN 1.22