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Geburt eines Kindes: Hartz IV trotz Aufenthalts außerhalb zeit- und ortsnahen Bereiches

23.04.2021

Wenn ein Hartz-IV-Empfänger sich wegen der Geburt seines Kindes außerhalb des so genannten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält und deswegen nicht mehr für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung steht, steht dies dem Leistungsbezug nicht entgegen. Dies gilt für eine Zeit von bis zu drei Wochen, wie das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entschieden hat.

Der 1981 geborene Kläger bezog seit März 2017 Arbeitslosengeld II (Alg II). Am 18.05.2018 sprach er beim Jobcenter vor und teilte mit, am 26.05.2018 zu seiner hochschwangeren Freundin nach Schleswig-Holstein fahren zu wollen. Er wurde darauf hingewiesen, dass er dem Jobcenter eine Ortsabwesenheit melden müsse, nur 21 Tage "bezahlten Urlaub" habe und, bevor er am 26.05.2018 in die Ortsabwesenheit gehe, beim Jobcenter noch einmal vorsprechen müsse. Eine Genehmigung sei noch nicht möglich, "da über eine Woche davor".

Der Kläger hielt sich sodann vom 26.05. bis 15.07.2018 bei der Kindsmutter in Schleswig-Holstein auf. Das gemeinsame Kind wurde am 28.05.2018 geplant per Kaiserschnitt entbunden. Der Kläger erlebte die Geburt des Kindes mit und unterstützte die Kindsmutter in der Folgezeit unter anderem beim Führen des Haushalts und bei der Betreuung des Neugeborenen. Die Kindsmutter wurde zehn Tage nach der Geburt aus dem Krankenhaus entlassen. Der Kläger erkannte die Vaterschaft an.

Das Jobcenter hob die Bewilligung von Alg II für den Zeitraum der Ortsabwesenheit des Klägers auf und forderte rund 958 Euro zurück. Denn der Kläger habe sich die Ortsabwesenheit nicht im Voraus genehmigen lassen. Eine nachträgliche Genehmigung komme nicht in Betracht, weil die Kindsmutter nicht der Betreuung durch den Kläger bedurft hätte.

Auf die hiergegen gerichtete Klage hob das Sozialgericht (SG) den angefochtenen Bescheid auf: Denn der Eingliederung in den Arbeitsmarkt habe im streitigen Zeitraum ein wichtiger Grund (Wahrnehmung des verfassungsrechtlich garantierten Elternrechts) entgegengestanden.

Auf die deswegen vom Jobcenter (nach eigenen Angaben aufgrund der Vielzahl gleichgelagerter Fälle) eingelegte Berufung hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG überwiegend bestätigt. Zwar habe sich der Kläger ab dem 26.05.2018 außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten und sei deshalb nicht mehr für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung gestanden. Der Aufenthalt in Schleswig-Holstein sei indes für die rechtlich maximal zulässige Abwesenheit von drei Wochen, also bis einschließlich 15.06.2018, leistungsunschädlich gewesen. Denn insoweit wäre das Jobcenter verpflichtet gewesen, den Antrag auf Ortsabwesenheit zu genehmigen.

Der in Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz zuerkannte besondere Schutz der Familie umfasse auch das Recht des Kindsvaters, die unmittelbare Zeit der Geburt des Kindes zu begleiten sowie im weiteren Verlauf die Kindsmutter zu unterstützen und das Neugeborene zu betreuen. Der Kläger habe auch mit Antragstellung am 18.05.2018 alles seinerseits Erforderliche getan, um die rechtlich vorgesehene Zustimmung des Jobcenters zu erlangen. Im Hinblick auf die zeitlich feststehende Entbindung am 28.05.2018 sei das Beharren des Jobcenters auf eine weitere Antragstellung unmittelbar vor der geplanten Abreise nicht gerechtfertigt gewesen. Zudem hätte das Jobcenter Eingliederungsmaßnahmen im betreffenden Dreiwochenzeitraum gar nicht beabsichtigt.

Eine außergewöhnliche Härte als Voraussetzung für eine Verlängerung des rechtlich maximal zulässigen Zeitraums der Ortsabwesenheit von drei Wochen liege hingegen nicht vor. Diese Möglichkeit sei auf besondere, die Rückreise überraschend verzögernde Ereignisse, wie beispielsweise eine plötzliche Erkrankung, ein Verkehrsunfall oder ein Streik bei der Bahn beschränkt. Schließlich gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kindsmutter knapp drei Wochen nach der Geburt und zehn Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht im Stande gewesen sein sollte, unterstützt durch Freunde und eine Familienhelferin den Haushalt zu führen und das Neugeborene zu betreuen. Dem Kläger hätte es darüber hinaus freigestanden, zur Überwindung der räumlichen Distanz zur Kindsmutter oder zumindest in deren Nähe zu ziehen.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.04.2021, L 12 AS 1677/19

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