Die Schuldenbremse im Grundgesetz – ein großer Erfolg für den BdSt
Im Jahr 2009 ist eine solide Schuldenbremse im Grundgesetz verankert worden. Das bedeutete einen großen Erfolg für den Bund der Steuerzahler. Jahrelang hatten wir vor der hemmungslosen Neuverschuldung gewarnt. Vor allem die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler war eine eindrucksvolle Mahnung. Politik und Gesellschaft hat das immer mehr für das Schuldenproblem sensibilisiert.
Im Jahr 2006 legte der Bund der Steuerzahler nach. Sein finanzwissenschaftliches Institut präsentierte eine Studie, in der ausführlich für eine wirksame Schuldenbremse plädiert wurde. Seinerzeit klang das noch nach Zukunftsmusik. Aber die Zeit war reif. Der Bundestag und der Bundesrat beschlossen Ende 2009 eine umfassende Grundgesetzänderung. Für die Bundesländer wurde ein prinzipielles Neuverschuldungsverbot ab dem Jahr 2020 vereinbart. Dem Bund ist seit dem Jahr 2016 nur noch eine Neuverschuldung von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestattet.
Ausnahmen davon sind nur möglich im Falle von extremen Notsituationen wie Naturkatastrophen und bei größeren konjunkturellen Schwankungen. In diesen Fällen besteht jedoch die Pflicht, diese Ausnahmekredite wieder zu tilgen. Die Einführung dieser grundgesetzlichen Schuldenbremse war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer soliden und nachhaltigen Haushaltsführung.
Unsere Forderung
Wir wollen, dass Regelungen zur Schuldenbremse auch in den verbleibenden Bundesländern schnellstmöglich in die Landeshaushaltsordnung und in die Landesverfassung übertragen werden. Wer das politisch verschleppt, nährt sonst den Verdacht, eine Schuldenbremse letztlich gar nicht zu wollen. Die Nachzügler in den einzelnen Bundesländern sollten jetzt Farbe bekennen.
Schuldenbremse = Investitionsbremse?
Die Schuldenbremse war Schuldenliebhabern von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie sei schuld am Investitionsstau in Deutschland. Die coronabedingte Aussetzung der Schuldenbremse wird von mancher Seite nun als Gelegenheit gesehen, die Schuldenbremse am besten dauerhaft zu deaktivieren.
Tatsächlich jedoch ist die im Jahre 2009 beschlossene grundgesetzliche Schuldenbremse eine Erfolgsgeschichte. Das belegt ein Blick zurück. Jahrzehntelang kannte die deutsche Staatsverschuldung nur eine Richtung; nach oben. In den 40 Jahren von 1970 bis 2009 stieg sie um den Fabelfaktor 26. Es gab kein einziges Jahr in diesem Zeitraum, in dem die Verschuldung im Vergleich zum Vorjahr nicht gewachsen wäre.
Zwar stieg gleichzeitig natürlich auch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und damit die Schuldentragfähigkeit. Doch die Schulden wuchsen viel schneller als das BIP. Die Schuldenquote, also die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, vervierfachte sich. Sie stieg von unter 20 Prozent des BIP (1970) auf über 80 Prozent (2010).
2019 jedoch, drei Jahre nach Inkrafttreten der Schuldenbremse für den Bund und ein Jahr vor der Scharfstellung in den Ländern, war die Schuldenquote auf unter 60 Prozent des BIP gefallen. Dieser Konsolidierungserfolg wäre ohne die Schuldenbremse mit Sicherheit nicht möglich gewesen.
Natürlich spielten auch andere Faktoren, wie sinkende Zinsausgaben und sprudelnde Steuerquellen, eine Rolle. Doch die Zinssätze für deutsche Staatsanleihen sind nicht erst in den letzten Jahren gesunken, sondern fallen im Trend seit Jahrzehnten. Und Phasen stabilen Wachstums und damit steigender Steuereinnahmen hat es regelmäßig gegeben. Doch nur mit der zusätzlichen Schuldenbremse ist es gelungen, die latent grenzenlosen Ausgabenwünsche der Politik wenigstens etwas zu zügeln und die fiskalischen Spielräume für eine Schuldenbegrenzung zu nutzen. Ohne die Schuldenbremse wäre das Ausgabenniveau noch massiver gewachsen – und damit die Verschuldung.
So jedoch war es dank der Schuldenbremse nun auch möglich, dass Deutschland auf Basis konsolidierter Staatsfinanzen seine Schulden im Kampf gegen die Corona-Pandemie massiv ausweitet, ohne Zinsaufschläge hinnehmen zu müssen, wie das höher verschuldete Länder wie Italien erleben.
Ging diese Haushaltskonsolidierung nun aber zulasten der Investitionen und hat die sinkende Schuldenquote dadurch zu einer sinkenden Investitionsquote geführt? Mitnichten. Betrachtet man die Sachinvestitionen (im Wesentlichen Bauinvestitionen und Erwerbe von langlebigen Gütern) des Bundes, der Länder und Kommunen im Verhältnis zu ihren Gesamtausgaben, ergibt sich ein klares Bild.
Nach der deutschen Wiedervereinigung lag die Investitionsquote auf einem zunächst hohen Niveau. Sie sank dann mit den Jahren, was im Zuge von Fortschritten beim „Aufbau Ost“ auch nicht sonderlich überraschend ist. Der Tiefpunkt der Investitionsquote war dann 2007/2008 erreicht. Seither ist die Investitionsquote wieder deutlich gestiegen. Es ist also seit der Einführung der Schuldenbremse im Jahre 2009 das Gegenteil dessen eingetreten, was ihre Kritiker suggerieren. Der Anteil der Investitionen an den Gesamtausgaben ist trotz Schuldenbremse gestiegen und nicht gesunken.
Dieser Befund ist gleichwohl kein Persilschein für die Politik. Besseres Investieren ist zweifellos nötig und möglich. Aber die Schuldenbremse ist definitiv die falsche Adresse in der Investitionsdiskussion.
Investition ist nicht gleich Investition
Dass es hierzulande Investitionsdefizite gibt, liegt nicht an der Schuldenbremse, wie das Kritiker gerne suggerieren. Die Investitionsquote, also der Anteil der öffentlichen Investitionen an den Gesamtausgaben, ist seit dem Beschluss zur Schuldenbremse 2009 keineswegs gefallen, sondern gestiegen.
Aber das heißt nicht, dass besseres Investieren nicht möglich und nötig wäre. Es lohnt daher, hinter die Kulissen des öffentlichen Investitionshaushalts zu schauen. Im Bundeshaushalt zeigt sich in besonderer Weise, dass Investitionen nicht gleich Investitionen sind.
2019, also vor Ausbruch der Corona-Pandemie, gab der Bund 38 Milliarden Euro für Investitionen aus. Das waren fast 11 Prozent seiner Gesamtausgaben – ein sehr ordentlicher Wert. Doch nur ein Bruchteil davon floss in klassische Infrastrukturbereiche, die man mit dem Begriff Investitionen verbindet. Für Autobahnen, Bundesstraßen, Brücken, Wasserstraßen und Gebäude, also typische Bauinvestitionen, gab der Bund 2019 nur rund 8 Milliarden Euro aus (siehe Tabelle). Die Bauinvestitionen des Bundes machten lediglich ein Fünftel des gesamten Investitionsbudgets aus. Gemessen an seinen Gesamtausgaben sind es sogar nur gut 2 Prozent. Der Rest sind eben vor allem Personal- und Sachausgaben des Bundes, aber auch Sozialausgaben und Zuschüsse an andere staatliche Ebenen.
Die Tabelle zeigt zudem, dass die Bauinvestitionen des Bundes in den letzten Jahren zwar absolut gestiegen sind. Im Verhältnis zu den Gesamtausgaben tritt der Bund jedoch auf der Stelle. Und da in den letzten Jahren auch die Baupreise deutlich gestiegen sind, ist der reale Zuwachs des Bauvermögens des Bundes letztlich kleiner, als es die jährlichen Milliardensummen nahelegen.
Wenn die Politik die Bauinvestitionen, wie vielfach gefordert, steigern will, muss sie andere Prioritäten setzen. Ein Weg ist es, Konsumausgaben zu drosseln. Ein anderer Weg wäre es, innerhalb des Investitionshaushalts zugunsten der Bauinvestitionen umzuschichten. Von den 30 Milliarden Bundesinvestitionen außerhalb der Bauinvestitionen fließt zum Beispiel ein erheblicher Teil an die Länder und Kommunen. Die nutzen die Gelder dann teilweise nicht adäquat, etwa beim sozialen Wohnungsbau. Oder sie rufen die Projektmittel des Bundes nur teilweise ab, wie beispielsweise beim Breitbandausbau und beim Digitalpakt Schule.
Erhebliche Zuschüsse gehen an die Deutsche Bahn AG, obwohl es für den Bund schwierig ist sicherzustellen, dass die Bahn die Mittel auch effizient für Schieneninvestitionen einsetzt. Umso wichtiger wäre es, wenn in der kommenden Legislaturperiode eine Bahnreform mit einer Trennung von Schienennetz und Schienennutzung erfolgt.
Es gibt aber auch viele bundeseigene Investitionsposten, bei denen bezweifelt werden muss, ob es sich um Projekte handelt, die tatsächlich einen investiven Charakter haben, also eine gesamtwirtschaftliche Rendite erwarten lassen.
Die Beispiele sind vielfältig. Das milliardenschwere Baukindergeld zählt haushaltsrechtlich voll als Investition. Faktisch jedoch ist es eine reine Subvention, die Mitnahmeeffekte und auch den Erwerb bereits bestehender Wohnungen und Häuser fördert.
Der gesamte Entwicklungshilfebereich in der Größenordnung von 8 Milliarden Euro ist haushaltsrechtlich ebenfalls eine Investition. Diese Ausgaben kann man politisch wollen, doch ihren investiven Charakter sollte man nicht überschätzen. Gleiches gilt für Kulturmaßnahmen wie den Bau des Berliner Stadtschlosses oder des Freiheits- und Einheitsdenkmals.
Auch die deutschen Zahlungen an die Europäische Weltraumorganisation ESA, fast 1 Milliarde Euro jährlich, gelten als Investition, obwohl Zweifel am Nutzen durchaus angebracht sind. Die Bundeszuschüsse an die Rundfunkanstalt „Deutsche Welle“ sind ein weiteres Beispiel. Nur weil etwas haushaltrechtlich als Investition gilt, muss es eben nicht zwingend eine renditeträchtige Investition sein. Das gilt beim Bund ganz besonders.
Wo der Bund allerdings in den letzten Jahren erfolgreich war, ist das Ausschöpfen seines beschlossenen Investitionsbudgets. Das war und ist bei den Ländern und insbesondere den Kommunen ganz anders.
Schuldenbremse – keine Investitionsbremse in den Ländern
Die Schuldenbremse ist ein Garant für nachhaltige Finanzpolitik und ein Schutzwall für kommende Generationen. Immer mehr Politiker halten sie jedoch für ein lästiges Hindernis. Und wenn in der gesellschaftlichen Debatte ein Mangel an staatlichen Investitionen beklagt wird, ist die Schuldenbremse schnell der bequeme Sündenbock und der Ruf nach Reformen laut. Noch allerdings sind die verfassungsrechtlichen Hürden für eine Reform oder gar Abschaffung der Schuldenbremse sehr hoch. Aber je nach Ausgang der Bundestagswahlen und daran anschließender Diskussionen kann diese gefährliche Reformdebatte weiter an Fahrt gewinnen.
Weil dieses Thema so bedeutend ist, hatten wir bereits in der Mai-Ausgabe des Steuerzahler-Magazins gezeigt, dass die Schuldenbremse mitnichten eine Investitionsbremse ist, da die Investitionsquote trotz Schuldenbremse steigt. In der Juni-Ausgabe haben wir argumentiert, dass der Bund rein monetär betrachtet zwar relativ viel investiert, aber nicht jede seiner Investitionen unverzichtbar und renditeträchtig sind. Zumindest ist es dem Bund in den vergangenen Jahren immer besser gelungen, seine eingeplanten Investitionsbudgets auch auszuschöpfen.
Bei vielen Bundesländern ist das leider ganz anders, wie unsere Recherchen zeigen. Hierzu haben wir die Haushaltsabschlüsse der Länder für das Vorkrisenjahr 2019 mit den ursprünglichen Haushaltsplanungen verglichen.
Für die Bauinvestitionen als Kernbereich der Länder-Investitionen zeigt die Tabelle, wie heterogen das Bild ist. Unter dem Strich haben die Länder 2019 rund 750 Millionen Euro für Bauinvestitionen bereitstehende Mittel nicht genutzt. Es herrschte also mitnichten ein von der Schuldenbremse verursachter Geldmangel.
Soll-Ist-Vergleich der Bauinvestitionen der Bundesländer 2019
Besonders eklatant war es in Hamburg. Tatsächlich konnte Hamburg im Jahre 2019 gerade einmal rund ein Drittel seiner eingeplanten Bauinvestitionsmittel verausgaben. Mehr als eine halbe Milliarde Euro blieb ungenutzt. Die Gründe zählte die Stadt in ihrem Jahresabschluss quasi stellvertretend für viele andere Verwaltungen auch selbst gleich auf:
„Der geringe Ausschöpfungsgrad bei den Auszahlungen für Investitionen geht u. a. auf die Marktlage des Jahres 2019, in der es schwierig war, ausführende Firmen als Auftragnehmer zu gewinnen, und auf offene Abrechnungen von Investitionsmaßnahmen aufgrund der Kapazitätsengpässe bei den Baufirmen zurück. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu unerwartet auftretenden Komplikationen z. B. in der Planung, bei Vergaben oder bei der Ausführung von Investitionsmaßnahmen, die teils erhebliche zeitliche Verschiebungen in der Umsetzung von Maßnahmen und der Abforderung von Geldern zur Folge haben.“
Ähnliche, wenn auch nicht ganz so gravierende Probleme existieren auch in vielen anderen Bundesländern. Doch es geht auch anders. 2019 gelang es einigen Ländern durchaus, ihre Investitionsbudgets auszuschöpfen.
Größere Planungskapazitäten, bessere Planungen, schnellere Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren sind also viel eher die Hebel, bei denen Politik und Verwaltung ansetzen können und sollten. Das sind zugegebenermaßen schwierige und langwierige Aufgaben. Und es ist auch anstrengender als die Schuldenbremse abzuschaffen und jedes Problem auf Kosten kommender Generationen lösen zu wollen.